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SRF DOK Das Leiden der Adoptierten

Nicht zu wissen, woher man kommt und wer die leiblichen Eltern sind, ist für viele Adoptierte eine schwere Bürde. Wie sehr die Frage nach der eigenen Herkunft meine Protagonisten beschäftigte, überraschte mich bei der Entstehung meines Films dennoch.

Da wird ein Säugling aus den Philippinen adoptiert, wächst hier unbeschwert heran, ihm fehlt es nicht an Liebe und Geborgenheit, als junger Mann findet er eine Freundin und startet eine berufliche Karriere. Dann fährt er das erste Mal in sein Herkunftsland, trifft die biologischen Eltern und Geschwister – und will gar nicht mehr weg. Auf einmal ist er überzeugt, sein Platz sei auf den Philippinen und nicht in der Schweiz. Das ist die Geschichte von Lee (27), einer von drei Protagonisten aus «Mein erstes Leben». Er sagt: «Die Herkunft ist das Innerste.»

Adoption ist das einzige Trauma, für das man dankbar sein muss.

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Daniel Stadelmann ist freischaffender Journalist und Filmemacher, er lebt in Zürich. In seinen Arbeiten setzt er sich wiederholt mit dem Thema Identität auseinander. «Die meisten Adoptierten suchen vordergründig ihre Mutter oder ihren Vater. Aber eigentlich suchen sie sich selbst»“

Ich bin fasziniert, kann es nur mit dem Verstand begreifen, nicht aber fühlen. Dabei hatte mir ein befreundeter Psychiater zuvor schon eine Spur ausgelegt. Er erklärte, dass der Anteil des Unbewussten an der eigenen Persönlichkeit sehr viel grösser sei, als der Anteil des Bewussten. Falls dies stimmt, was bedeutet das für Adoptierte, bei denen ein Teil ihrer Biografie völlig im Dunkeln liegt?

Ein Neugeborenes besitzt noch keine eigene Identität, neun Monate lang teilte es den Kreislauf der Mutter, es fühlt, was die Mutter fühlt und ist, was die Mutter ist. Wird das Kind von der Mutter getrennt, bedeutet dies ein doppeltes Trauma. Zum Verlust der Mutter kommt der Verlust eines Teils der eigenen Persönlichkeit hinzu. Ein Betroffener sagte mir, Adoption sei das einzige Trauma, für das man dankbar sein müsse.

Schicksalsreise nach Korea

Nicolas (45), ein weiterer Protagonist, war nie dankbar dafür, dass er adoptiert wurde. Er haderte damit, dass er zu Schweizer Eltern kam, welche schon vier eigene Kinder hatten. Zeitlebens umtrieb ihn die Frage, was eigentlich damals in Südkorea passiert war. An was starb seine Mutter, weshalb ging sein Vater fort und weshalb nahm ihn die Grossmutter zunächst bei sich auf, um ihn dann zwei Jahre später doch wieder fortzugeben? Als wir Nicolas mit der Kamera nach Korea begleiten und er seine Familie trifft, sieht es zunächst so aus, als kehre der verlorene Sohn zurück. Doch dann kommt alles ganz anders.

Auslands-Adoptionen in der Kritik

Nicolas war das tausendste Kind, welches «Terres des Hommes» zur Adoption in die Schweiz vermittelte. Es geschah in der Absicht, einem Kind ein besseres Leben zu ermöglichen. Doch wann ist ein Leben ein besseres? Nach dem Suizid einer adoptierten jungen Frau aus Korea Anfang der 90er Jahre gründete der damals in der Schweiz tätige koreanische Pfarrer Do Hyun Kim den Verein Dongari. Während es Dongari bis heute gibt, lebt Pater Kim längst wieder in Seoul. Dort besuchten wir ihn, und Nicolas fand in ihm einen Verbündeten. Der Pater kritisiert seit Jahren, dass der koreanische Staat seine Kinder zu zehntausenden weggibt.

Die im Film gezeigten Geschichten nehmen einen unterschiedlichen Lauf. Was die drei Menschen verbindet, ist ihr Drang, mehr über ihre Herkunft zu erfahren. Die eigenen Wurzeln zu kennen heisst, sich selbst besser zu verstehen. Während der anderthalbjährigen Dreharbeiten gewährten mir die Betroffenen sehr persönliche Einblicke. Dafür bin ich ihnen dankbar.

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