Nach Wikipedia war das Guinness-Buch der Rekorde eine Bieridee: Nach einem Fehlschuss auf einen Goldregenpfeifer wollte der frustrierte Jäger beweisen, dass der hochbeinige Vogel der schnellste der Welt sei und begann zu recherchieren. Dass dies auch der Geschäftsführer der legendären «Guinness»-Brauerei in England war, Sir Hugh Beaver, war wohl Zufall und führte gleichzeitig mit der Publikation der ersten Ausgabe der «Guinness World Records» im Jahre 1955 zu einem der wohl erfolgreichsten PR-Gags der neueren Geschichte: Die britische Biermarke «Guinness» ist heute synonym für publizierte Rekorde in aller Welt. So wird jedes Jahr – auch 2016 – ein Buch mit Auflagen im «–zig-Millionen Bereich» gedruckt und in Dutzende von Sprachen übersetzt, in dem neue Weltrekorde in den verschiedensten Kategorien publiziert werden. Um in diesem Buch zu erscheinen, riskieren Menschen mit den exotischsten und waghalsigsten Extremleistungen mitunter Kopf und Kragen. Bei tierischen Rekorden wird es aber heikler: Die schnellste Art lässt sich ja vielleicht durch objektive wissenschaftliche Messungen noch ermitteln. Aber die mutigste, die angeblich die Spezies Honigdachs anführen soll?
Ein Rekord, den es nicht mehr gibt
Um den Wahrheitsgehalt des Guinness-Rekord-Eintrags über den afrikanischen Honigdachs zu überprüfen, brauchte es in der «NETZ NATUR»-Redaktion lange Recherchen, denn «das» Guinness-Buch der Rekorde gibt es nicht und es ist auch keine Online-Liste aller gültigen Rekorde verfügbar, sondern es erscheinen immer nur spektakuläre Auszüge mit Superlativen. Wer einen bestimmten Rekord-Eintrag sucht, muss alle jährlichen Publikationen jede für sich durchackern. So ist der Honigdachs in der Ausgabe 2001 tatsächlich als «furchtlosestes Tier der Welt» erwähnt. Doch die Nachfrage bei der Buchredaktion in London, die gemäss Wikipedia heute 50 Leute beschäftigt, die die sinnigsten und unsinnigsten Weltrekorde überprüfen sollen, führte zur lapidaren E-Mail-Antwort, dass man die Kategorie der mutigsten Tiere inzwischen geschlossen habe, weil es zu schwierig sei, die Eigenschaft «mutig» objektiv zu messen. Wohl wahr!
Fragen zum Wettbewerb
Doch es bleiben Fragen: Weshalb ist das Publikum so rekordgeil, dass sich ein Buch über Rekorde jedes Jahr in Millionenauflagen verkauft? Und weshalb denken Filmproduzenten – wohl zu Recht – dass ihr Tierfilm mehr Publikum findet, wenn es ein tierischer Protagonist ins Bier-Buch über angebliche Rekorde geschafft hat?
Die weltweit gültige Lebensnorm heisst heute Wettbewerb – als Prinzip steht er über allem. Und so wird Wettbewerb ab dem Säuglingsalter eintrainiert, oftmals ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Wirtschaft und Wissenschaft ergänzen sich ideal im gemeinsamen Selbstverständnis: Wettbewerb als Basis aller Werte, denen es nachzueifern gilt. So wird geforscht und Geld verdient. Und so ist es nur logisch, dass der Mensch nur allzu gern auch alle anderen Arten durch diese Brille betrachtet, die heute mit ihm unseren Planeten besiedeln. Wettbewerb als Prinzip und Motor des Lebens? Doch wohin führt dieses Prinzip? Führt dieser rein menschliche Massstab tatsächlich zu einem besseren Verständnis des Lebens?
Anders spannend
Führt uns ein Tierfilm, den wir schauen, um das «furchtloseste Tier der Welt» zu sehen, wirklich zu einem besseren Naturverständnis? Die Redaktion von «NETZ NATUR» verzichtet in der Sendung über den Honigdachs auf das superlative Prädikat des Mutes: Das Leben des Honigdachses ist so spannend, dass es den menschlichen Massstab des Mutes nicht braucht, um ihn interessant zu machen.