Am Ende wurde Murat K. wegen dreifachen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Im Feuer, das er 2008 gelegt hatte, waren drei junge Frauen ums Leben gekommen. Lebenslang, das heisst: Wenn er sich gut führt, wird er nach 15 Jahren wieder auf freiem Fuss sein, sagt Staatsanwalt Pascal Pilet, der die Anklage vertreten hatte. Das Motiv sei «diffus» gewesen, schrieben die Prozessberichterstatter, als K. im Juli 2011 vor dem Strafgericht stand.
Eine Art «Notwehr»
Für die Staatsanwaltschaft war klar, dass er aus persönlicher Kränkung und Eifersucht gehandelt hatte, als er das Cabaret «Moulin Rouge» in Augst BL angezündet hatte. Weil seine Beziehung zur Betreiberin des Cabarets in die Brüche gegangen sei, habe er sie und alles, was mit ihr zu hatte, vernichten wollen.
K. selber erklärte indes, er habe sich bedroht gefühlt. Seine Ex-Partnerin habe ihm gesagt, sie werde «Leute» zu ihm schicken, wenn er ihr das Geld, das er ihr noch schulde, nicht sofort zurückzahle. Aus seiner Sicht hatte er in einer Art «Notwehr» gehandelt.
Vier Jahre Verzögerung
Tatjana Kalugina, deren Tochter Marina beim Brand ums Leben gekommen war, wäre lange Zeit froh gewesen, auch nur einen Bruchteil dieser Details zu erfahren. Sie wusste lediglich, dass ihre Tochter als «Artistin» in die Schweiz gegangen war – und jetzt tot war.
Die ukrainische Botschaft in Bern, welche die Kommunikation zwischen den Schweizer Behörden und den Hinterbliebenen hätte sicherstellen sollen, hatte dem Fall offenkundig keine hohe Priorität beigemessen. Mit all ihren Nachfragen war Kalugina ins Leere gelaufen. «Ihre Tochter sei gestorben, fertig…», hatte man ihr beschieden. Mit der Folge, dass sie anfing zu glauben, da müsse doch etwas dahinterstecken, das jetzt vertuscht werden sollte. Dass es keine Verschwörung gab, dass der Täter vielmehr längst bekannt war, dass ihm der Prozess gemacht worden war und dass er im Gefängnis sass, erfuhr Kalugina 2012 von mir – vier Jahre nach der Tat.
Zwangsrekrutiert für eine «A-T-O»
Ich erinnere mich, wie wir in ihrem bescheidenen Wohnzimmer sassen – sie wollte alles wissen. Jedes Detail. Obwohl ich sehen konnte, wie schmerzvoll das für sie sein musste, kam ich ihrem Wunsch nach. Im Nachhinein sagte mir Kalugina, die jahrelange Ungewissheit sei wie eine Eiterbeule gewesen, die nun aufgestochen worden sei – nun könne die Heilung beginnen.
Drei Jahre später, als ich wieder in die Ukraine reiste, schien diese Heilung weit vorangeschritten zu sein. Aber es bahnte sich bereits die nächste Tragödie an. Kaluginas 20-jähriger Sohn Alexander, der ihr in all diesen Jahren eine so grosse Stütze gewesen war, wird wohl schon bald zwangsrekrutiert und Richtung Osten an die Front geschickt. Dorthin, wo es offiziell gar keinen Krieg gibt, sondern eine «A-T-O», eine «Anti-Terroristische-Operation». Und so bleibt die bange Frage, ob Friedrich Dürrenmatt Recht hatte, als er sagte: «Eine Geschichte ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat.»