Zum Inhalt springen

SRF DOK Die Schreckensherrschaft des «Sendero Luminoso»

Der «Leuchtende Pfad» zog in den 80er Jahren seine Blutspur quer durch die Anden. Die maoistische Guerillabewegung verbreitete im Andenstaat Peru Angst und Schrecken. Beat Wieser berichtete damals als Korrespondent des Schweizer Fernsehens über die Gewalt des Sendero, der bis heute aktiv ist.

Zur Person

Box aufklappen Box zuklappen

Als Südamerika-Korrespondent des Schweizer Fernsehens berichtete Beat Wieser über die Gräueltaten des Leuchtenden Pfades und des peruanischen Militärs. Er lebt in Zürich und Peru und beobachtet bis heute die politische und wirtschaftliche Entwicklung des Andenstaates.

SRF DOK: Beat Wieser, Sie waren als Journalist 1988 bis 1993 in Peru, in einer Zeit, in der der Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad) sehr aktiv war. Was bedeutete das?

Beat Wieser : Es bedeutete, dass in ganz Peru ein Klima von Angst und Schrecken herrschte, das Land war am Abgrund. Die Bevölkerung stand unter unvorstellbarem Druck. Die maoistische Aufstandsbewegung Sendero Luminoso wollte das Land destabilisieren, indem die Stromversorgung zwischen den Anden, wo sich die Wasserwerke befanden, und der Küste gekappt wurde. Sie sprengten dutzende von Masten – die ganze Küste lag dann im Dunkeln. In dieser Finsternis verübte Sendero dann seine Bombenattentate. An diese Explosionen erinnere ich mich noch gut, alles zitterte jeweils, und wir sassen mit Kerzen im Dunkeln, hörten im Radio die Horrormeldungen. Sendero brachte tausende von Menschen um. Er zog seine Blutspur quer durch die Anden. Und gleichzeitig unterdrückte auch das Militär die Bevölkerung. Es war eine schlimme Zeit.

Ohne Rücksicht auf Menschen und Menschlichkeit

Was war denn der Sendero Luminoso genau? Eine Terror-Organsation? Oder waren es doch Befreiungskämpfer?

Auf jeden Fall keine Befreiungskämpfer. Die haben niemanden befreit, im Gegenteil. Andere Guerillabewegungen auf dieser Welt hatten durchaus das Ziel, die Schicksale der Menschen verbessern zu wollen. Nicht so der Sendero Luminoso. Die hatten ein herzloses Weltbild, basierend auf dem maoistischen Gedankengut. Es ging darum, die Macht im Land zu erobern ohne Rücksicht auf Menschen und Menschlichkeit. Ich erinnere mich zum Beispiel an die hochgeschätzte Umweltaktivistin Barbara d'Aquile, die in die Berge ging. Leute des Sendero erwischten und steinigten sie, mit der Begründung, eine Kugel für diese Frau wäre zu schade. Sie waren absolut kompromisslos, sie gingen in die Andendörfer und übernahmen das Kommando. Wer sich wehrte, wurde eliminiert. In nur einem Jahr haben die Senderistas 50 linke Bürgermeister umgebracht.

Blutzoll für die Revolution

Woher kam denn dieses hasserfüllte Weltbild?

Sendero Luminoso hatte – oder hat, es gibt sie ja vereinzelt heute noch – ein sehr enges, sektiererisches Weltbild. Reine, maoistische Lehre, eine Abspaltung der Kommunistischen Partei. Den einzigen, den sie damals noch einigermassen akzeptierten, war Pol Pot, Anführer der Roten Khmer, der in Kambodscha einen Genozid verantwortete. Den Kommunismus aus Kuba, Russland oder China unter dem Reformer Deng Xiaoping lehnten sie ab. In Peru hängten sie zum Beispiel an Laternenpfähle getötete Hunde auf, mit Schildern «Sterbe wie ein Hund, Deng Xiaoping!» Sie waren unglaublich brutal. Der Sendero nahm vielen Bauernfamilien die Kinder weg, vor allem halbwüchsige Buben und schulte sie dann zu bewaffneten Kämpfern. Zu den Bauern sagten sie: «Este es tu cuota de sangre para la revolución», das ist dein Blutzoll für die Revolution.

Gleichzeitig wurde die Bevölkerung vom eigenen Militär bedroht.

Das ist richtig. Das Militär hatte eigentlich den Auftrag, den Sendero zu bekämpfen. Aber in Tat und Wahrheit benahm es sich wie eine Besatzungsarmee, vor allem in den Andendörfern. Sie zwangen Leute zu Aussagen, vergewaltigten Mädchen und Frauen. Die Bevölkerung war zwischen Hammer und Amboss. An einem Tag kamen die Maoisten, die von den Bauern Unterwerfung, Essen, Kleider, Informationen verlangten – am anderen Tag kamen die Militärs und wollten Informationen über Sendero. Dann kamen die Maoisten wieder und schimpften die Bauern als Verräter und hängten sie auf.

An eine Begegnung erinnere ich mich heute noch gut, ich lernte diese Frau in einem Spital in Ayacucho kennen. Sie erzählte mir, wie Sendero Luminoso in ihrem Dorf ein Blutbad anrichtete. Auch in ihrem Haus brachten sie alle Leute um. Männer, Frauen und Kinder. Sie selbst hatte gerade ihren Säugling an der Brust und versteckte sich in einem strohgedeckten Schweinestall. Kurz bevor die Senderistas wieder abziehen wollten, begann das Baby zu weinen. Da drehte sich einer um und schoss eine ganze Salve auf den Schweinestall. Der Säugling war sofort tot, und die Frau hatte unzählige Schusswunden. Es gelang ihr später, sich an eine Strasse zu schleppen, wo sie ein Lastwagen ins Spital von Ayacucho brachte. Dort lernte ich sie kennen.

«DOK» am Mittwoch

Box aufklappen Box zuklappen

«Sturm in den Anden» , Mittwoch, 6. April 2016, 22:55 Uhr, SRF1.

Wie finanzierte sich der Sendero Luminoso, woher kam das Geld ?

Vom Koka-Anbau. Sie waren die «Schutzmacht» der Kokabauern. Im Dschungel des oberen Huallagatals, das damals das weltweit grösste Koka-Anbaugebiet war, schützte Sendero die Bauern gegen Armee und Polizei. Die Drogenflugzeuge aus Kolumbien, die regelmässig auf den Dschungelpisten landeten, mussten Sendero Zoll bezahlen. Das ist übrigens heute noch ähnlich. Die wenigen Senderistas, die es noch gibt, sind noch immer dick im Drogengeschäft. Der Drogenhandel ist in Peru nach wie vor ein Milliardengeschäft.

Gründer des Sendero Luminoso, Abimael Guzman nach seiner Festnahme (1992).
Legende: Gründer des Sendero Luminoso Abimael Guzman nach seiner Festnahme (1992). Keystone

Abimael Guzman im Käfig

1992 wurde Abimael Guzman, der Anführer des Sendero Luminoso verhaftet.

Präsident Fujimori lies ihn den Journalisten vorführen, ein Riesenspektakel: Guzman in einem Käfig, er steckte in einem gestreiften Sträflingsanzug, wie im Film. Guzman brüllte herum «Lang lebe die Weltrevolution!». Doch das war das Ende, ein tiefer Einschnitt. Die Organisationsstruktur des Sendero krachte zusammen. Guzman ist in einem Hochsicherheitsgefängnis, scheint aber nicht schlecht versorgt zu sein. Der damalige Präsident Alberto Fujimori ist wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen auch noch im Gefängnis.

Hat Peru diese blutige Vergangenheit aufgearbeitet?

Ja, mehr als andere Länder Südamerikas mit dunkler Geschichte. Im Jahr 2001 wurde die Kommission für Wahrheit und Versöhnung gegründet. Diese Kommission hat zwei Jahre lang gearbeitet, unzählige Zeugen angehört, Täter befragt. Der Bericht war 6000 Seiten stark und kam zum Schluss, dass in diesem Krieg 70‘000 Menschen umkamen. Mehr als die Hälfte der Toten gingen auf das Konto der Senderistas, etwas weniger als ein Drittel musste die Armee verantworten. Die allermeisten waren einfache Bauern in den Bergen und in den Urwaldgebieten. Für die weiteren Schritte bei der Re-Demokratisierung nach Alberto Fujimori war das ein ganz wichtiger Prozess. Bei der Bevölkerung indes sind noch viele Wunden vorhanden. Peru ist zwar ein junges Land, und gerade für die junge Bevölkerung ist das alles so weit weg. Aber es gibt natürlich auch noch viele, die das erlebt und erlitten haben.

Der Sendero ist zwar zerschlagen – aber es gibt ihn immer noch. Warum gelang es nicht, diese Organisation ganz zum Verschwinden zu bringen?

Es gibt noch vereinzelte Senderistas, das ist richtig. Sie sind nach wie vor die «Schutzmacht» für den Kokahandel. Dass es sie noch gibt, liegt vor allem an der Geografie: Sie leben in derart abgelegenen Regionen, da kommt kaum einer hin. Darum ist es so schwierig, dort aufzuräumen. Sie haben immer noch Menschen unter ihrer Kontrolle, sie halten sie als Zwangsarbeiter, wie Sklaven. Letzten Sommer befreiten Sondereinheiten einige dieser Menschen. Aber bisher ist es nicht gelungen, die ganze Organisation zu beseitigen.

Nun stehen in Peru Wahlen an. Wie geht es Peru heute?

Peru ist heute ein stabiles Land, das viele Jahre kräftigen Wirtschaftswachstums hinter sich hat. Perus Erfolgsrezept ist, dass es politisch keine grossen Umwälzungen gab in den letzten Jahren. Das heisst: Wer auch immer am Ruder ist, die Wirtschaftspolitik ist berechenbar und attraktiv für ausländische Investoren.

Keiko Fujimori auf Wahlkampftour in Ayacucho (2016).
Legende: Wahlkampf im Andenstaat Präsidentschaftskandidatin Keiko Fujimori in Ayacucho (2016). Keystone

Die aussichtsreichste Kandidatin für das Präsidentenamt ist Keiko Fujimori, Tochter von Alberto Fujimori. Sie steht für eine liberale Wirtschaftspolitik, von ihr würden keine grossen Umwälzungen zu erwarten sein. Dass sie die Tochter des ehemaligen Präsidenten ist, der vor der Justiz nach Japan flüchtete und über Umwege schliesslich in einem peruanischen Gefägnis landete, nützt und schadet ihr. Ein grosser Teil der Bevölkerung ist Fujimori dankbar dafür, dass er das Land vom Terror des Sendero Luminoso und einer Inflation von mehreren hundert Prozent befreit hat. Ein anderer Teil vergisst nicht, dass Fujimori ein Verächter der Demokratie und ihrer Institutionen war. Mit seinem Geheimdienstchef Vladimiro Montesinos hat Fujimori diktatorisch regiert. Das Land war stabil. Aber eine wirkliche Pressefreiheit, unabhängige Gerichte gab es nicht. Keiko steht zu ihrem Vater. Aber sie hat versprochen, ihn nicht aus dem Gefängnis zu befreien, falls sie Präsidentin wird. Im Moment hat kein Kandidat so gute Chancen wie sie.

Beat Wieser, vielen Dank für dieses Gespräch.

Meistgelesene Artikel