Als wir Autoren im Vorfeld dieses Films die zum Teil sehr aufgeregten Diskussionen verfolgten, fiel uns auf: Es werden einige wenige Daten verhandelt, doch über das Tier selbst, über sein Verhalten, über das Zusammenspiel zwischen Wolf und anderen Tierarten erfahren wir kaum etwas. Nur wenige können über eigene Beobachtungen und Erfahrungen sprechen.
Durch das Auge des Fotografen
Kein Wunder: 150 Jahre lang gab es hierzulande keine Wolfsrudel. Ende 19. Jahrhundert war der Wolf ausgerottet – so wie damals auch Steinbock oder Rothirsch. Das Schalenwild ist schon lange wieder heimisch. Wildhüter, Förster, Jäger und Biologen sind jetzt dabei, die rückkehrenden Wölfe kennen zu lernen.
2013 trafen wir jemanden, der zu diesem Zeitpunkt schon jahrelange Erfahrung in der Beobachtung von Wölfen hatte: Peter Dettling. Dem Bündner Naturfotografen war im Jahr 2006 das erste Foto von einem freilebenden Wolf auf Schweizer Boden gelungen. Als er dem Wolfsrüden Aug in Aug gegenüber stand, war es um den Fotografen geschehen: Ausstrahlung und Habitus des Wildtiers faszinierten ihn. Er zog nach Kanada. In Übersee beobachtete er jahrelang ein Wolfsrudel aus nächster Nähe. Er lernte das Sozialverhalten der Wölfe kennen und studierte die Rolle des Spitzenprädators im Ökosystem. Und er machte hunderte von packenden Fotos.
2013 kam Peter Dettling zurück in die Schweiz und begann mit der Beobachtung des Calanda Wolfsrudels.
An dieser Stelle beschlossen wir, für die Serie «Top Shots» auf SRF 2 eine kleine Staffel zum Thema zu realisieren: «Heimische Raubtiere und Fotografie». Wir trafen zwei weitere interessante Fotografen, über die wir in halbstündigen Reportagen berichteten: Laurent Geslin und David Bittner. Laurent Geslin fotografiert seit 2009 wildlebende Luchse in der Schweiz. Er ist der einzige, dem Bilder in dieser Zahl und von dieser Qualität gelingen.
David Bittner lebt seit zwei Jahrzehnten fast jeden Sommer unter Grizzlies in Alaska. Ihn begleiteten wir auf eine Reise ins Trentino. Er reiste mit der Frage: Wie schaffen es die Trentiner, mit einer kleinen Population von Alpenbraunbären zusammen zu leben?
Die Diskussionen um den Umgang mit Luchsen liefen vor allem in den 1990er-Jahren. Zurzeit befinden wir uns in der heissen Phase bei den Wölfen, in der Phase ihrer gelenkten, aber selbständigen Wieder-Verbreitung.
Das Management der Raubtiere Luchs und Wolf wird durch Konzepte des Bundes geregelt. Wie die Luchse sind auch Wölfe streng geschützt – dürfen also nicht bejagt werden. Bei den Luchsen wurden in Einzelfällen immer wieder Abschüsse vom Bund bewilligt, so wie nun auch beim Wolf.
Wölfe haben die letzten Jahre im Schnitt pro Sömmerung 200 Schafe gerissen. Auch wenn der Verlust jedes einzelnen Tieres für die Halter schmerzlich ist: eine kleine Zahl im Vergleich zu den vier- bis sechstausend Schafen, die auf den Alpen jährlich durch Krankheiten oder Unfälle sterben. Doch ein Bild von einem gerissenen Schaf hat eine starke Wirkung.
Der Film zeigt drei Fotografen, die Bilder suchen, die eine Nähe zum Raubtier schaffen. Die drei Fotografen sind keine schnellen Bildermacher – was ja bei dem Thema auch gar nicht möglich ist – sondern beharrliche Forscher, die sich über Monate und Jahre in ihr Thema einarbeiten; die mit den Behörden zusammen arbeiten, die im Feld den Kontakt mit Bauern, Jägern und Förstern pflegen, denen es um das Bild geht, aber eben so sehr um die Bildlegende, um den Kontext.
Alle drei haben durchaus ihren Standpunkt: es sind Befürworter. Liebhaber. Anders lässt sich eine Passion nicht über Jahre aufrecht halten. Durch ihre Beharrlichkeit und Liebhaberei entstehen Bilder, die durch ihre Schönheit berühren, die auf Zusammenhänge verweisen, die Fragen wecken.
Für «DOK» haben wir die drei Reportagen von 2013 neu geschnitten und diesen Frühling mit aktuellen Szenen ergänzt.