SRF DOK: Alexander Nanau, zuerst einmal herzliche Gratulation, Sie wurden mit Ihrem Film gerade für den Europäischen Filmpreis nominiert! Was bedeutet das für Sie?
Alexander Nanau: Es ist natürlich eine Ehre und es spricht hoffentlich für die Qualität des Filmes als einer der fünf Nominierten für den Europäischen Filmpreis ausgewählt worden zu sein.
(Gewonnen hat der Dokumentarfilm «Amy» über Amy Winehouse, Anm. d. Red.)
Wie sind Sie auf Toto und seine Schwestern gestossen, und wie kamen Sie auf die Idee, diesen Film zu machen?
Ich wurde zuerst von einem der Co-Produzenten angefragt, ob ich Lust hätte, mich für einen kurzen Dokfilm mit dem Thema Roma-Gemeinden auseinander zu setzen, da sie eine kleine Finanzierung dafür hätten. Das habe ich abgelehnt, da ich nicht an thematischen Filmen interessiert bin. Trotzdem war ich neugierig, da ich noch nie wirklich Kontakt zur Welt der Roma hatte. So habe ich mich aus Neugier darauf eingelassen.
Ich habe wunderbare, kluge aber unterernährte und vernachlässigte Kinder getroffen, die weder schreiben noch lesen konnten. Ich versuchte mir vorzustellen, was wohl im Kopf eines solchen Kindes vor sich geht, wenn es begreift, dass es viel vom Leben haben könnte, aber nie auch nur die geringste Chance haben wird, aus diesem Milieu herauszukommen. Somit hatte ich auf einmal den Drang einen Film ausschliesslich aus der Perspektive eines 8- bis 10-jährigen Kindes zu drehen. Ein Film, der darüber hinaus zu 100 Prozent beobachtend sein sollte. Wir haben angefangen die richtigen Protagonisten zu suchen. Nach etwa zwei Monaten haben wir Toto und seine Schwestern gefunden.
Eine komplett neue Welt
Ihr Film ist sehr intim, Sie konnten Ihre Protagonisten sehr nahe begleiten. Wie konnten Sie das Vertrauen von Toto und seinen Schwestern für sich gewinnen?
Wie in jeder nahen Beziehung: Ich habe viel Zeit mit ihnen verbracht und eine sehr offene und auch ehrliche Beziehung zu ihnen aufgebaut.
Sie haben Andreea, eine der Schwestern, eine Kamera gegeben, um eine Art Videotagebuch zu machen. Was war abgesehen davon noch besonders an den Dreharbeiten?
Da es für mich eine komplett neue Welt war, in die ich hineingetaucht bin, war das Meiste dort für mich besonders und auch faszinierend. Der ganze Dreh war ein ständiger eigener Lernprozess, den ich intensiv durchlebte, und ich wünsche mir, dass auch die Zuschauer das alles nah miterleben können.
Toto und seine Chancen für die Zukunft
Die Dreharbeiten sind nun schon eine Weile her. Wie geht es Toto, Ana und Andreea heute? Und auch der Mutter?
Es geht ihnen gut. Toto ist im Kinderheim, geht zur Schule und setzt seine Tanzkarriere fort. Andreea wohnt mit ihrem Freund zusammen in einer eigenen Wohnung. Ana war ja auf Bewährung und ist nun im Gefängnis, weil sie ein Telefon geklaut hat. Die Mutter ist zu Hause. Die Obhut wurde ihr entzogen.
Die Geschichte von Toto und seinen Schwestern ist auch stellvertretend für viele Roma-Familien, die am Rande der Gesellschaft leben. Und obschon die Chancen für diese Kinder sehr schlecht stehen, hofft man nach ihrem Film so sehr, dass es Toto und Andreea schaffen können. Was denken Sie, wie stehen ihre Chancen?
Die Chancen stehen gut und das vor allem, weil sie viele Hilfsbereite um sich herum haben. Nichtsdestotrotz sind das Leben und die Menschen immer wieder unvorhersehbar. Ich denke, es hängt nun zu 100 Prozent von den Entscheidungen ab, die sie selbst im Verlauf ihres jungen Lebens treffen werden.