Eigentlich müsste man die ganzen 80 Tage mitfahren, meinte mein Kameramann Ewgenij Kurbatow. So könnte man das Innenleben dieser zwei Dutzend Teilnehmer, darunter vier Frauen, richtig verfolgen. Die meisten von ihnen bereits im Rentenalter, oft mit erfolgreichen Karrieren hinter sich, nicht selten in Führungspositionen oder als Firmeninhaber.
Zusammen sind sie fast drei Monate unterwegs, tags auf dem Fahrrad, nachts in den zwar komfortablen aber halt doch engen Kajüten der zwei mitfahrenden Reisebusse. Dass es dort mit der Zeit «menschelt» ist klar. Und diese Momente mit der Kamera einzufangen – das wäre spannend.
Meinungsverschiedenheiten unterwegs
Tatsächlich haben wir denn auch die eine oder andere Situation mitbekommen, wo Meinungen aufeinanderprallten. Zum Beispiel wenn es darum ging, was eigentlich tatsächlich das Ziel ist. Nicht die geografischen Etappenziele sind gemeint – sondern was man gerne erreichen möchte. Da sind die einen, die Sportler, die nach dem Motto «Gring abe u fahre» am liebsten so schnell wie möglich die geplante Strecke hinter sich bringen. Am anderen Ende der Skala stehen die «Geniesser». Diese lassen das Fahrrad gerne mal stehen, um sich die Gegend anzuschauen, Sehenswürdigkeiten zu fotografieren oder mit den Einheimischen in Kontakt zu kommen. So kam beispielsweise die Frage auf, ob in einer Gruppe Anarchie oder Diktatur herrschen sollte. Oder wie einer salopp meinte: «Zwischendurch gehen sie einander recht auf den Sack».
Uns fiel auf, dass die Fahrer in Russland noch sehr diszipliniert in Gruppen von 7–8 Personen unterwegs waren. Bei unserem Kurzbesuch in der Mongolei sah es dann anders aus. Dort trafen wir tagsüber Fahrer alleine oder zu zweit, die offensichtlich die kurzen Freiheiten unter dem unendlichen mongolischen Steppenhimmel genossen. Insgesamt waren wir aber doch beeindruckt, wie die älteren Herren und Damen als Truppe gut unterwegs waren. Gelernte Sozialkompetenz eben.
Vom Busfahrer...
Womit wir wieder bei den tausend Geschichten wären, die man erzählen könnte. Einerseits von den Menschen, die mitfuhren. Von Bus-Lenker Markus zum Beispiel, der zwar noch nicht im Rentenalter ist, der aber nach über 30 Jahren am Steuer in Schweden, nun mit seiner Lebenspartnerin und Mit-Lenkerin Aline, sesshaft werden will. Auch für ihn könnte die Fahrt nach Peking die letzte grosse Reise gewesen sein. Auf der Reise erzählt uns der geschiedene Vater, dass sich Familienleben und der Beruf des Fernfahrers kaum unter einen Hut bringen lassen würden.
...über die fitten Rentner...
Oder die Geschichten der mehreren Unternehmer, CEOs und Direktoren, die mitfuhren – quasi als ihren ersten Schritt in den Ruhestand. Wie sie den Übergang ins neue Leben wahrnehmen – philosophierend, abends beim Sonnenuntergang irgendwo in einem sibirischen Dorf. Da ist der frisch pensionierte Immobilienspezialist, der eigentlich mit seiner Frau bei dieser Gelegenheit auf eine Kreuzfahrt wollte, jetzt aber bei der Radtour mitmacht, weil seine Frau verstorben ist.
...bis zu den Geschichten am Strassenrand
Und dann wären da natürlich noch die vielen Geschichten der einheimischen Menschen zu erzählen, die wir auf dieser Fahrt getroffen haben. Von Swetlana Gennadjewna, die am Strassenrand Obst und eingemachte Pilze verkauft und uns erzählt, dass sie einst ein florierendes Kleidergeschäft gehabt habe, aber in Russland die Kleinunternehmer ausgepresst würden. Aber auch von Geschäftsführer Dmitrij, der einem kremlnahen Jungunternehmer-Verband angehört und erzählt, dass sein Geschäft für Freizeitartikel trotz Wirtschaftskrise bestens laufe.
Reiche Begegnungen
Am Schluss ist es weniger eine Geschichte über Einzelschicksale geworden, sondern vor allem eine über Begegnungen auf einer langen Reise. Und auch über den russischen Staat, der, wie uns der Vizeleiter von Russland Tourismus sagte, alles daran setzte, dass die Schweizer Fahrer gut und problemlos durchs Land kommen und nur mit positiven Emotionen heimfahren. «Volks-Diplomatie», nennt er das.