Zum Inhalt springen

SRF DOK Grosstierärztin – Starke Frau im Stall

Annina Rohner ist eine der wenigen Frauen, die stark genug ist, den Job als Grosstierärztin während Jahren auszuüben. Im Zürcher Unterland betreut sie seit 25 Jahren Kühe, Pferde, Ziegen und Schafe. Ihre lange Berufserfahrung hat ihr geholfen, das Trauma eines schlimmen Arbeitsunfalls zu überwinden.

Die meisten Frauen, die Veterinärmedizin studieren, arbeiten später als Kleintierärztinnnen. Bei Familie Rohner ist dies anders: Annina Rohners Ehemann, Kaspar, ist der Kleintierarzt, während sich seine Frau um die grossen Tiere kümmert.

SRF DOK: Woher kommt Ihre Faszination für Grosstiere?

Annina Rohner: Die Grosstiere, die ich behandle sind Pflanzenfresser, also Fluchttiere. Dies im Gegensatz zu den kleinen Raubtieren wie Hund und Katze, die in der Kleintierpraxis behandelt werden. Den stummen Fluchttieren zu helfen, die in der Regel nicht schreien, wenn sie leiden, das war mein Kinderwunsch.

Die Kälber müssen gut bemuskelt am Fleischhaken hängen, und nicht möglichst alt werden. Das habe ich akzeptiert.

Was für einen Unterschied macht für Sie als Tierärztin bei ihrer Arbeit die Tatsache, dass die Grosstiere geschlachtet werden und eben nicht kleine Lieblinge sind, wie Katzen oder Hunde?

Am Ende des Studiums machte ich ein Schlachthofpraktikum. Bei der Schlachtung von Kälbern wurde mir bewusst, was das Ziel der Nutztierhaltung ist: Die Kälber müssen gut bemuskelt am Fleischhaken hängen, und nicht möglichst alt werden. Das habe ich akzeptiert. Mein Job ist es, den Bauern und den Nutztieren zu helfen, dass das Leben der Tiere bis zur Schlachtung ein gutes Leben ist. Für die Medizin, die ich betreibe – im Gegensatz zur Kleintier- oder Humanmedizin – heisst das, dass ich mit einfachen Mitteln und ohne grosse Technik zu einer Diagnose kommen muss.

Annina Rohner pflegt den Huf ihres Pferdes
Legende: Annina Rohner pflegt den Huf ihres Pferdes SRF

Einfache Mittel sind ein Thermometer, ein Stethoskop, meine Hände, mein Know-how und meine Erfahrung. Fast noch wichtiger als die Diagnose ist die Prognose. Die Frage, wie gut die Chancen sind, dass das Tier wieder gesund wird? Wenn die Chancen sehr schlecht sind, kann es auch befreiend sein, den Weg nicht bis zum bitteren Ende gehen zu müssen. Schwer kranke Kühe und auch die meisten Pferde mit schlechter Prognose schläfere ich eher ein, als dass sie geschlachtet werden. Geschlachtet werden in der Regel nur die gesunden Tiere.

Wie haben Sie die Angst nach dem Unfall überwunden?

Ich war bei einer Trauma-Psychotherapeutin. Dies ist nicht mein erster, aber mein schwerster Berufsunfall. Wäre es der erste, am Anfang meiner beruflichen Tätigkeit gewesen, dann hätte ich vielleicht aufgegeben. So gesehen hat mir die Erfahrung geholfen. Es hat mich aber auch sehr getroffen, dass ausgerechnet mir so etwas passieren musste. Nach all den Jahren Einsatz für die stumm leidenden Kreaturen. Ich habe mein Arbeitspensum stark reduziert, damit ich in gefährlichen Situationen genug Energie habe, um für meine Sicherheit zu sorgen, und um auch mal «Nein» sagen zu können. Neben der Familie haben auch langjährige Kunden beim Wiedereinstieg geholfen, in dem sie mir Verständnis entgegen gebracht haben.

Zum Filmautor

Box aufklappen Box zuklappen

Mani Koller (*1975) dreht seit 15 Jahren als freier Autor Geschichten für «Reporter» und andere SRF-Sendungen. Annina Rohner porträtierte er zum ersten Mal vor zehn Jahren für «10vor10». Der schwere Unfall von Annina Rohner war Anlass für eine erneute Reportage.

Macht sich die Angst heute bei der Arbeit noch bemerkbar?

Ja, die Tatsache, dass mich eine Kuh absichtlich getreten hat, obwohl ich ihr in diesem Moment nicht zum Beispiel mit einer Spritze Schmerzen zugefügt hatte, die ist mir in jedem Moment bewusst.

Und das ist nicht angenehm. Ich empfinde es sehr anstrengend. Es kann sein, dass ich einen notwendigen Eingriff nicht mache, wenn das Tier nicht adäquat vorbereitet ist.

Wie schaffen Sie es als zierliche Frau, gegenüber diesen grossen Tieren Präsenz und Autorität zu markieren?

Das übe ich mit meinen Pferden. Seit gut 20 Jahren bilde ich mich aus in «Natural Horsemanship» nach Pat Parelli. Dabei versuche ich den Fluchttieren, also Pferden, Kühen, Schafen und Ziegen, nicht als Raubtier zu begegnen, sondern als «natürliche Leitfigur». Manchmal brauche ich auch meine Ellbogen (nicht die flachen Hände!), damit ich nicht zerdrückt werde. Sehr effizient ist auch das Fuchteln mit meiner Gummi-Praxisschürze!

Meistgelesene Artikel