Die Hoffnung ist da. Immer. Das gilt auch und ganz besonders für Menschen, deren einzige Chance auf Weiterleben ein Spenderorgan ist. Das wird in der zweiteiligen Dokumentation «Chance auf ein zweites Leben – Geschichten aus dem Transplantionszentrum Genf» deutlich. Die Arbeit an diesem Film hat mich persönlich sehr berührt, durchlebt doch einer meiner besten Freunde* seit mehreren Jahren die Höhen und Tiefen eines Lebens mit einer Spenderlunge. Höhen und Tiefen, durch die ich ihn begleite.
Da waren die ersten Anzeichen. Immer häufigere kurze Pausen beim Wandern. Weniger Ausdauer beim Sport. Und das ständige Husten. Eigentlich war es mir gar nicht aufgefallen. Erst rückblickend habe ich die Anzeichen erkannt. Nach unserem Gespräch im Sommer vor drei Jahren. «Ich werde eine neue Lunge brauchen», sagte mir mein Freund. Lungenfibrose. Vermutlich eine Erbkrankheit. Die Lunge entzündet sich und verschleimt mit der Zeit immer mehr. Meist kommt es zusätzlich zu schlimmen Infektionen, die den Absturz beschleunigen. Auf lange Sicht droht Tod durch Ersticken. Ganz langsam. Unausweichlich.
Die Ärzte gaben ihm noch ein halbes Jahr. Er kam auf die Liste für ein neues Organ. Die Spenderlunge. Hoffnung auf ein zweites Leben. Ein Leben, in dem Atmen Normalität und kein Luxus ist. Ein Leben, in dem nicht jeder schwächer werdende Atemzug daran erinnert, dass der Tod eine Realität ist. Eine Realität in spätestens sechs Monaten.
Entscheidung über Leben und Tod
Sechs Monate. Die durchschnittliche Wartezeit auf eine Spenderlunge beträgt eineinhalb Jahre. Immerhin, mein Freund hat es ganz nach oben auf die Warteliste geschafft. Eine Warteliste, die von den Ärzten in langen Diskussionen immer wieder neu zusammengestellt wird. Es gibt nicht genügend Spenderorgane. Also müssen die Ärzte über Leben und Tod entscheiden. Wer auf die Liste kommt. Und wer nicht. Eine Entscheidung, die auch zwischen ihnen tiefe Gräben aufwerfen kann.
Mein Freund trägt inzwischen permanent eine Sauerstoffflasche bei sich. In einem Rucksack. Er schafft es nicht mehr, einen Kinofilm zu schauen, ohne immer wieder möglichst unauffällig den kleinen weissen Schlauch aus einer Öffnung des Rucksacks in die Nase einzuführen. Lange Gespräche. Was ist, wenn kein Spenderorgan gefunden wird? Was, wenn es Komplikationen bei der Operation gibt? Lange Wochen der Unsicherheit. Immer mehr Sauerstoff fliesst direkt aus der Sauerstoffflasche in seinen Körper. Die Lunge schafft immer weniger.
Die gute Nachricht
«Sie haben eine Lunge für mich.» Mein Freund weint am Telefon. Vor Freude. Vor Angst. Der Austausch einer Lunge gehört zu den schwierigsten Transplantationen. Das neue Leben ist da. Die Hoffnung wird konkret. Noch befindet sich das Organ in einem anderen Körper. Im Körper eines Unbekannten, dessen Leben vor wenigen Stunden ein Ende fand. «Ich muss auflegen», sagt er, «sie kommen mich holen.»
Wenige Tage später. Mein Freund hat eine neue Lunge. Die Operation sei gut verlaufen, sagen die Ärzte. Bis ich ihn besuchen darf, wird es noch einige Wochen dauern. Dann sehe ich ihn. Mit Mundschutz gegen Keime. Ich bin für ihn Freund und Gefahr in einem. Er lächelt. Und er atmet. Tief. Ohne Husten. Und er lächelt erneut. «Es ist so wunderbar, wieder atmen zu können», sagt er und seine Augen strahlen. Noch tut alles weh. Doch es geht aufwärts.
Wir hatten uns ein Ziel gesetzt, vor der Transplantation. Gemeinsam wollten wir eine neue Sportart erlernen, wenn alles gut geht. Ein Ziel haben. Jetzt tun wir es. Jede Woche. Nach einem halben Jahr spielen wir gemeinsam Tennis. Anfängertennis. Er rennt. Und er schlägt mich. Nicht immer, aber meistens. Dann freuen wir uns beide.
Der Rückschlag
Alles ist gut. Bis er sich zwei Jahre nach der Transplantation einen schweren Infekt einfängt. Aus der kurzen Untersuchung im Krankenhaus werden fünf Wochen. Das Lungenvolumen nimmt ab, sein Körper scheint das fremde Organ abzustossen. Zunächst hat er noch Hoffnung. Dass sich alles wieder einrenkt. Alles wieder gut wird. Doch diese Hoffnung nimmt gleichzeitig mit dem sinkenden Lungenvolumen ab. Nach wenigen Wochen bekommt er schlechter Luft als vor der Transplantation. Die Ärzte sind ratlos.
Mein Freund steht wieder auf der Liste. Die Ärzte raten zu einer zweiten Transplantation. Die alten Ängste kommen hoch. Erinnerungen an die Schmerzen, an den leidvollen Weg zurück ins Leben. An Mut, Hoffnung, Zweifel und Verzweiflung. Wir beginnen, Pläne zu schmieden für das Danach. Das neue Danach. Vielleicht wieder eine neue Sportart. Denn die Hoffnung ist da. Immer.
*Name der Redaktion bekannt