Martina Fuchs ist Fernseh-Journalistin, ich bin Fernseh-Journalist. Wir beide arbeiten in China, doch unterschiedlicher könnten unsere Welten kaum sein. Wo Martina auftaucht, öffnen sich Türen, uns Auslandskorrespondenten bleiben sie oft verschlossen.
Lehren fürs Volk
Auch wenn der Newsroom von CCTV News auf den ersten Blick aussieht, wie der Nachrichtenraum eines beliebigen Fernsehsenders: Vieles ist anders hier. Es beginnt schon am Eingang. Das Hauptgebäude des Staatssenders ist streng bewacht. Das Sicherheitspersonal an der Pforte trägt die gleichen grünen Uniformen und die gleichen steifen Hüte, wie die ernsten Herren, die mich sonst vor der Schweizer Botschaft in Peking bis auf die Knochen mustern. Ich ahne schon jetzt, was mir im tiefen Innern von Chinas Staats- und Propagandasender begegenen wird. Journalismus wird hier anders definiert, als bei uns.
Medien verbreiten die Meinung der Partei
Wenn Martina Fuchs ihren Fernsehbeitrag fertig geschnitten hat, zeigt sie ihren Text einem Laoshi. Laoshi ist ein ehrenhaftes Wort für eine ältere, weise Person. Man kann es auch mit «Lehrer» übersetzen. Die Aufgabe dieser Lehrer ist es, dem Volk, also der Masse, das richtige Wissen beizubringen. Und richtig ist in China, was auf einer Linie mit der kommunistischen Partei liegt. Alles andere fällt der Löschtaste zum Opfer. Wie wichtig die Macht des Fernsehimperiums ist, zeigte ein offizieller Besuch von Staats- und Parteichef Xi Jinping im vergangen Jahr. Vor laufender Kamera wies er die Journalisten von CCTV an, dass die Medien der Partei gehorchen müssten. Neu ist das nicht in China. Seit Maos Zeiten dienten die chinesischen Medien einem Hauptzweck: Der Verbreitung der Meinung der Partei. Unter Xi Jinping hat sich dies nicht geändert, im Gegenteil, eher noch verschärft. Wer sich diesem Credo widersetzt, bekommt die Staatsgewalt direkt zu spüren. In keinem anderen Land werden mehr Journalisten weggesperrt als in China.
Mit Politk nichts am Hut
Doch Zensur und Propaganda interessieren Martina nicht. Fragen in diese Richtung sind ihr unangenehm, und sie antwortet mit ihrem Standardsatz: «Ich arbeite für ein Wirtschaftsprogramm und habe mit Politik nichts am Hut.» Es wirkt auf mich wie ein Seiltanz zwischen Wahrheit und Wirkung. Wenn Martina Fuchs ihre Wirtschaftsnachrichten präsentiert, geht es vor allem um die Wirkung: Die Ausländerin mit ihren auffällig roten Haaren interviewt die grossen und mächtigen Menschen der Welt. Sie alle kommen nach China und beantworten die meist unkritischen Fragen offen und nett. Die Botschaft ist klar: Das Ausland liebt China, China ist gross und mächtig.
Blauäugigkeit kann man Martina Fuchs aber nicht vorwerfen. Die ehemalige Reuters-Journalistin weiss, was sie tut. Sie feilt an ihrer Karriere und das sehr zielstrebig. Es ist beeindruckend, wie sie sich selbst mitten in den Mühlen des chinesischen Systems für ethische Grundprinzipien einsetzt und sich zum Beispiel gegen die auch im Journalismus weit verbreitete Käuflichkeit zur Wehr setzt.