SRF DOK: Herr Büchel, für Ihren Film «Verführt im Namen Allahs – Europas junge Salafisten» haben Sie in Deutschland, Österreich, Frankreich und in Grossbritannien recherchiert. Weshalb ist die Ideologie des Salafismus so reizvoll für junge Leute?
Helmar Büchel: Weil gerade junge Menschen auf Suche sind, gerade auch nach Antworten auf die grundlegenden Fragen unserer Existenz: Was ist der Sinn des Lebens? Woher kommen wir? Wo gehen wir hin? Gibt es einen Gott? Ein Leben nach dem Tod?
Und viele junge Menschen finden in unserer weitgehend durchsäkularisierten, ideologiebefreiten, kommerzialisierten westlichen Moderne offenbar nicht mehr ausreichend befriedigende Antworten auf solche Fragen. Und in dieses transzendentale Vakuum unseres modernen Alltags, das allumfassende Freiheit verspricht, aber kaum noch Werte vermittelt, können Radikale mit ihren simplen Heilsbotschaften eindringen.
Sie bieten (aus unserer Sicht zweifelhafte) Werte und Halt in einer verschworenen Gemeinschaft. Dieser Halt wird umso grösser, je mehr diese Gemeinschaft von der Mehrheitsgesellschaft unter Druck gesetzt wird.
Die Botschaften der Salafisten sind ultrakonservativ, fundamentalistisch, radikal. Wo finden die Hassprediger einen Nährboden?
Eben weil sie fundamentalistisch sind und radikal und damit anders als all die anderen. Bei jenen Menschen, die von der Komplexität, von der Langeweile unseres Alltags enttäuscht sind – und auch bei jenen, die sich von der Mehrheitsgesellschaft ausgegrenzt fühlen, es ihr «heimzahlen» wollen. Deshalb die hohen Rekrutierungszahlen bei den Kindern gemässigt-muslimischer Einwanderer gerade auch der dritten Generation – und in den Gefängnissen ganz Europas.
Weshalb fühlen sich auch viele, junge Frauen von der «Dschihad-Romantik» angezogen?
Weil Sinnsuche und empfundener Mangel an Werten offenbar kein Mann-Frau-Ding sind.
In Frankreich flog kürzlich eine Journalistin auf, die verdeckt Kontakt mit IS-Terroristen aufgenommen hat. Heute lebt sie unter Polizeischutz. Wie schwierig ist es, im Umfeld von Jihadisten zu recherchieren?
Für mich war es nicht sonderlich gefährlich, weil ich nicht im terroristischen Umfeld unterwegs war, sondern mehr bei den noch legalen Rattenfängern. Aber dennoch war es sehr schwer, eine Gesprächsbereitschaft herzustellen.
Salafisten hassen unsere weltlichen Medien, uns Journalisten.
Andererseits brauchen sie Öffentlichkeit, um ihre Zielgruppe anzufixen, bevor sie sie dann im Internet an sich binden. Deshalb hat es dann letztlich funktioniert, diesen Film zu machen.
Gab es Versuche, Sie an den Dreharbeiten zu behindern? Wurden Sie bedroht?
Die Versuche gab es bei Aufmärschen und Kundgebungen, aber von fanatisierten Individuen, von radikalen Mitläufern. Das ist aber auf einer Nazi- oder Autonomenveranstaltung auch nicht anders.
Wer sind die Financiers der Salafisten in Europa?
Die Gelder kommen durch Spenden herein, nach Geheimdiensterkenntnissen auch von wohlhabenden Geschäftsleuten aus den Golfstaaten, die die Ausbreitung dieser sehr fundamentalistischen Auslegung des Islams weltweit und gerade auch in Europa unterstützen wollen.
Viele prominente Salafisten aber, zum Beispiel Pierre Vogel oder der ehemalige deutsche Linksterrorist Bernhard Falk, bekommen nach meiner Einschätzung eher wenig Spendengeld, brauchen aber auch nicht sonderlich viel. Ihre Rekrutierung läuft übers Internet ziemlich kostengünstig.
Wie stark sind die Salafisten untereinander vernetzt?
Die Vernetzung der salafistischen Kader in Europa ist zwar einerseits stark, andererseits sind die Führungsfiguren untereinander oft auch um Distanz bemüht.Sie konkurrieren um dieselben Seelen – und um dieselben Spender.