Wenn eine frei lebende Landschildkröte mir als Tierfilmer in die Linse blinzelt, löst sie damit unweigerlich eine leise Ehrfurcht und Bewunderung aus: Da sitzt auf Berührungsdistanz eine uralte Lebensform, die nahezu unverändert seit über 200 Millionen Jahren unseren Planeten besiedelt – 100-mal länger, als es uns Menschen gibt.
Feinde beissen sich die Zähne aus
Der Schlüssel zu ihrem Erfolg als Überlebenskünstler der Natur liegt unzweifelhaft in ihrem harten Panzer, der sich aus Knochenplatten und Hornschildern zusammensetzt. Dieser Panzer macht die allermeisten Schildkröten ausserordentlich friedlich – sie brauchen nicht wie andere Tiere Waffen, um sich zu verteidigen, keine Tarnfarben, um sich zu verstecken und auch keine flinken Beine, um sich durch schnelles Davonlaufen in Sicherheit zu bringen.
Taucht ein Feind auf, ziehen sie einfach die verletzlichen Teile – Kopf, Schwanz und Beine – in den Schutz ihres Panzers zurück, und der Feind kann sich dann an ihnen buchstäblich die Zähne ausbeissen. Je älter sie werden, desto grösser und härter der Panzer, und desto schwieriger ist es für agile Feinde, diesen wirksamen Schild zu knacken. Und wer denkt, Schildkröten seien langsam und langweilig, wird spätestens dann eines Besseren belehrt, wenn sie trotz hohen Alters den Frühling spüren.
Dann geht es mit Verve und Leidenschaft zur Sache und einmal mehr bestätigt sich das Naturprinzip, dass die weibliche Hälfte des Unternehmens bestimmt, wer der Vater des Nachwuchses wird. Da mag sich ein Männchen noch so abmühen und mit heftigen Panzerstössen und Bissen in die Beine seiner Angebeteten seine Männlichkeit beweisen – wenn sie den hinteren Panzerrand fest gegen den Boden drückt, kann er noch so kühn aufsteigen – es ist nichts zu machen.Die Männchen sind im Dilemma: Wollen sie auch nur eine minimale Chance zur Paarung, müssen sie sich so richtig Mühe geben und ein Weibchen mit viel Kraft und Ausdauer umwerben.
Werden sie aber als zu aufsässig empfunden und steigen allzu forsch auf, genügt ein kleiner Schritt des Weibchens nach hinten, und der Herr der Schöpfung fällt gnadenlos auf den Rücken. Er strampelt dann eine gute Weile hilflos mit den Beinen in der Luft, bis es ihm nach unglaublicher Anstrengung mit viel Geschick meistens gelingt, sich wieder auf die Beine zu drehen. Lächerlicher als bei den Landschildkröten kann Macho-Gehabe nicht enden. Doch die Evolution meint es manchmal gut, selbst mit den Männchen: Bei den Breitrandschildkröten hat sich bei den Männchen ein besonders breiter Hinterrand des Panzers entwickelt, der verhindert, dass sie von den Weibchen beim Paarungsversuch fis auf den Rücken geworfen werden.
Doch wer die Evolution der harten Schale mit weichem Kern allein auf die bösen Feinde und die Fortpflanzung zurückführt, hat zu kurz gedacht. Dies wird spätestens klar, wenn man entdeckt, wie die Schildkröten im Mittelmeerraum die zahlreichen Buschfeuer schadlos überstehen. Auf der Insel Sardinien, wo wir gedreht haben, bedrohen diese Feuer in der trockenen Macchia vielfach auch das Kulturland und die Siedlungen der Menschen. Diese neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse haben wir wohl zum ersten Mal gefilmt, und sie inspirieren bereits zu einer nächsten Dokumentation über diese faszinierenden Tiere: Wie die Schildkröten zu ihrem Panzer kamen.