Der Junge wirkt blass. Mag sein, er ist unsicher. Zwölf Jahre ist er angeblich alt. Schon die Armbanduhr wirkt viel zu gross für seine Kinderhand. Von der schweren Pistole nicht zu reden. Neben ihm posiert ein bärtiger Akteur der Terrormiliz «Islamischer Staat». Davor knien zwei Männer, laut Begleittext enttarnte russische Spione. Wer genau hinsieht, erkennt, dass alle frisch gebügelte Kleidung tragen. Der Experte des Bundesnachrichtendienstes (BND), mit dem wir das Propagandavideo betrachten, hat es analysiert. Sein überraschendes Fazit: «Wir können ausschliessen, dass diese Männer während dieser Aufnahmen ermordet wurden.»
Tatsächlich sind auf der Bildfolge weder Kugeln zu erkennen, die den Pistolenlauf verlassen, noch Einschusswunden, wo sie hätten treffen müssen. Verglichen mit all dem bluttriefenden Schockmaterial, das wir zuvor fast bis zur Übelkeit mit ihm gesichtet haben, ist das ein Indiz, dass etwas nicht stimmt. Lange hatte ich auf diesen Termin gewartet. Es ist das erste Mal, dass ein Fernsehteam dem BND bei seiner Arbeit zusieht. Was aber könnte der Grund für eine inszenierte Hinrichtung gewesen sein? Vielleicht wollte man so neue Kinderkämpfer anwerben, glaubt der Fachmann, oder es sollte ein Signal an wirkliche Spione sein.
Es gab Zeiten, da mussten Terroristen erst noch einen TV-Sender finden, der ihre Propaganda zitierte. Heute stellen sie einfach Videos ins Netz, egal ob echt oder gefälscht. Auch der 12-jährige IS-Todesschütze schaffte es so in viele internationale Schlagzeilen. Wie also, wollte ich wissen, wappnen sich Qualitätsnachrichten gegen «Fakes»?
Solides, journalistisches Handwerk
Gerade in Zeiten, in denen Schreihälse uns gern als «Lügenpresse» abtun, schien es mir angebracht, für solides Fernsehhandwerk zu werben. Tatsächlich ist die anfängliche Euphorie über das Medium Internet in den Redaktionen längst verflogen: Mehr Quellen, mehr Ausspielwege, mehr Wahrheit, mehr Lügen, so bilanzieren sie heute den Wandel – und stellen Mitarbeiter für Forensik ab, um die Flut an Online-Material zu prüfen. Ein Handy-Video brachte so auch in der ARD-Tagesschau ans Licht, wie Saudi-Arabien einen Blogger öffentlich mit Schlägen bestrafte. Details liessen sich zuvor verifizieren: Das Wetter entsprach den Wetterdaten, die örtliche Moschee war erkennbar, die Polizeiuniform stimmig.
Was aber, wenn es derlei Details nicht gibt? «Wir nehmen eher in Kauf, dass wir mit einer wahren Meldung zu spät sind, als dass wir einer Fälschung aufsitzen, nur weil es andere tun», sagt uns BBC-Fachmann Chris Hamilton. Auch das Forensikteam des Nachrichtenkanals France24 kennt das. Nach dem Attentat auf die Redaktion von Charly Hebdo reklamierten Kritiker, das Fluchtauto habe auf Fahndungsfotos mal schwarze und mal weisse Aussenspiegel. Wenn das schon nicht stimme, dürfe man Polizei und Fernsehen auch sonst nichts glauben. «Dabei reflektierte auf einem Foto nur der Lack das Sonnenlicht», sagt Teamchef Julien Pain. Er sieht etablierte Medien unter Druck. «Früher vertraute man uns, weil wir für renommierte Häuser arbeiteten. Das ist vorbei. Deshalb müssen gerade wir belegen, wie wir arbeiten.»
Selbstbestätigung statt Information
Auch CNN-Veteran Frank Sesno, der an einer Washingtoner Universität lehrt, macht die Entwicklung Sorgen. «Im Netz sortiert keiner mehr, was ist Nachricht, was ist Hass, was kommt ins Blatt, was in den Müll?» Welche Rolle bei all dem eigentlich das Publikum selbst spiele, fragen wir ihn. Da wird er nachdenklich. «Es wird weiter zu schätzen wissen, wer ihm gute Matratzen verkauft und welcher Wetterdienst zuverlässig ist», sagt er da. «Wenn es aber um Politik geht, ist das, was jeder wissen sollte, und das, was er nur gerne hört, nicht unbedingt dasselbe. Wofür sich Leute da künftig entscheiden, ist offener denn je.»