Son Doan ist der Ansicht, er habe im Leben viel Glück gehabt. Für Aussenstehende mag das absurd anmuten. Denn Doans Lebensgeschichte liest sich wie die Vorlage einer Tragödie: Mit elf Jahren, es war das Jahr 1968, wurde er Opfer einer amerikanischen Napalmbombe – und überlebte nur knapp. Seine Mutter starb noch am selben Tag an den Folgen ebendieser Bombe; sein Vater war bereits acht Jahre zuvor im Krieg gefallen. So weit, so schlecht. Doch Doan ist einer, bei dem das Glas jeweils halbvoll ist.
Viel Glück…
In einem Spital der zentralvietnamesischen Stadt Hue traf der Waisenjunge einen Schweizer namens Edmond Kaiser. Kaiser hatte seinen Beruf als Journalist aufgegeben, um das Kinderhilfswerk «Terre des Hommes» zu gründen. Dank ihm nahm Doans Leben eine entscheidende Wende.
Kaiser brachte ihn nämlich in die Schweiz, wo er medizinisch versorgt und bei einer Pflegefamilie untergebracht wurde. Sein Pflegevater hiess Branko Goldstein – der Jude Goldstein war auf der Flucht vor den Nazi-Häschern in der Schweiz gelandet. Er war gerettet worden, jetzt wollte er jemanden retten: den Vietnamesen Son Doan.
Er habe die Schweiz als weltoffenes und tolerantes Land erlebt, sagt Doan heute, er könne sich nicht erinnern, in der Schule gehänselt worden zu sein. Obwohl er ein dunkler Asiate mit Verbrennungen gewesen ist – und obwohl Kinder grausam sein können. Später machte er eine Lehre als Gärtner. Er verliebte sich in eine Schweizerin namens Sissi und wurde Vater von drei Kindern. Voilà: viel Glück…
«Zu anstrengend, sich zu entwickeln»
Im Alter von 50 Jahren verabschiedete sich Doan von der Schweiz. Zusammen mit seiner Frau Sissi wanderte er nach Vietnam aus. Dafür hatte er verschiedene Motive. Eines davon: Er war der Ansicht, im Leben viel Glück gehabt zu haben, darum wollte er nun etwas zurück- beziehungsweise weitergeben. Zum Beispiel sein in der Schweiz erworbenes Wissen als Gärtner. Damit wäre es nämlich problemlos möglich, zum Selbstversorger zu werden. Und wer kein Geld für Lebensmittel ausgeben muss, der kann sparen, investieren, Gewinn machen, wieder investieren… – der potenzielle Anfang einer Aufwärtsspirale.
Um es kurz zu machen: All das blieb Utopie. Doans Bemühungen liefen ins Leere. Nach acht Jahren stellt er ernüchtert fest: «Niemand will sich entwickeln.» Keiner interessiere sich für sein Wissen. Ideen seien nicht gefragt. Lieber warteten seine Landsleute auf die Devisen ihrer Verwandten aus dem Ausland – oder sie verharrten in Armut. «Es ist ihnen zu anstrengend, sich zu entwickeln», bilanziert Doan.
Was bringt Entwicklungshilfe?
Klar, Doans Ausführungen sind eine Einzelmeinung. Sie sind nicht repräsentativ. Und vielleicht liegt es ja auch an ihm. Vielleicht bringt er seine Botschaft einfach nicht richtig rüber. Nicht auszuschliessen ist allerdings, dass seine Erfahrungen einen politisch unkorrekten, aber wahren Kern des grundsätzlichen Problems von Entwicklungshilfe einfangen: Wer nicht den Willen hat, sich zu ändern, den werden auch alle Anstrengungen von Aussenstehenden nicht verändern. Die Psychologen sprechen von extrinsischer und intrinsischer Motivation.
Und plötzlich finden wir uns inmitten einer hochpolitischen Debatte wieder: Was bringt Entwicklungshilfe? Seit 1960 haben die Industriestaaten rund 4000 Milliarden US-Dollar den Entwicklungsländern zur Verfügung gestellt. Martin Paldam von der Universität Aarhus in Dänemark hat 141 Studien seit den 1970er-Jahren ausgewertet, die den Effekt der Entwicklungshilfe auf das Wirtschaftswachstum untersucht haben. Sein Fazit ist enttäuschend: Im Schnitt gibt es keinen Zusammenhang, die Korrelation ist praktisch null.