SRF DOK: Michael Kirk, Sie produzieren seit dem Jahr 2000 jeweils vor den amerikanischen Präsidentschaftswahlen zweistündige Porträts über die US-Präsidentschaftskandidaten. Die Dokumentationen werden dann vor den Wahlen unter dem Originaltitel «The Choice» ausgestrahlt. Was ist in diesem Jahr anders als sonst?
Michael Kirk: Stimmt, ich habe schon über die US-Präsidentschaftskandidaten George W. Bush/ Al Gore (2000), Barack Obama/ John McCain (2008) und Barack Obama/ Mitt Romney (2012) die Dokumentation «The Choice» produziert. Diese Filme haben alle etwas gemeinsam. Beide Kandidaten hatten schon mehrmals für ein Amt kandidiert und waren mindestens schon einmal gewählt worden. Sie hatten alle einen grossen politischen Erfahrungsschatz, den wir mit ihren persönlichen Biografien verweben konnten.
Bei «The Choice 2016» ist es schwieriger, die Geschichte der beiden Kandidaten zu erzählen. Da ist Hillary Clinton, die sich seit sie erwachsen ist, auf dem politischen Parkett bewegt. Und da ist Donald Trump, der sich noch nie um ein politisches Amt bemüht hat. Wir haben eine Kandidatin mit einer langen politischen Geschichte, auf die wir eingehen können und einen Kandidaten, der das nicht vorweisen kann.
Ein Kandidat, der sich noch nie um ein politisches Amt bemüht hat.
Ausserdem gab es noch nie Kandidaten, deren «Unbeliebtheitsgrad» so hoch ist: 57 Prozent bei Trump und 53 Prozent bei Clinton. Also «Die Entscheidung: Trump vs. Clinton» stellt uns vor die Herausforderung, eine Biografie über zwei Kandidaten zu produzieren, die mehr als die Hälfte der Wähler nicht mögen. Das sind die schlechten Nachrichten.
Auf der anderen Seite sind die Biografien von Clinton und Trump extrem interessant. Sie sind ja beide gleich alt, haben beide schon fünf Jahrzehnte Weltgeschehen auf dem Buckel: Der Vietnamkrieg, die Watergate-Affäre, Bürgerrechte, Frauenrechte, die Finanz- und Wirtschaftskrise. Bilder aus all diesen Epochen, kombiniert mit Interviews mit den Menschen, die ihnen am nächsten stehen, geben überraschende und neue Einblicke darüber, wer sie wirklich sind, und wie sie das Land regieren würden.
«The Choice» wurde in den USA am 27. September ausgestrahlt, Sie arbeiten immer bis kurz vor der Ausstrahlung an Ihrem Film. Wie gehen Sie vor?
Ich arbeite als Produzent in einem kleinen Team, das schon seit vielen Jahren Dokumentarfilme macht. Wir brauchen ein paar Monate für die Recherche, wir beginnen bei beiden Kandidaten in den frühen Jahren. Wir lesen Biografien und einen Haufen Zeitungsartikel, dann suchen wir Fotos, Filme und Dokumente.
Im Mai begannen wir zu filmen und drehten zu jedem Kandidaten etwa 25 Interviews. Sehr lange Interviews, die etwa 2 bis 3 Stunden dauerten. In der ersten Juliwoche sind wir in den Schnitt, mit vielen Stunden Filmmaterial, etwa tausend Fotos, hunderten Dokumenten und mehr als hundert Stunden Interviews. Für einige klingt das vielleicht mühsam, aber ich finde, es gibt nichts Aufregenderes im Fernsehjournalismus als verschiedene Bilder, Ideen und Interviews zusammenzusetzen und daraus «The Choice» zu machen.
Die Kampagne von Clinton und Trump war bisher ziemlich aufreibend. Für uns in Europa ist es nicht ganz nachvollziehbar, wie Trump überhaupt so weit kommen konnnte und Clinton ist für viele auch nur zweite Wahl.
Der politische Kontext, in dem wir «The Choice 2016» produzierten, war voller Wut und Unsicherheit. Es scheint einen realen Impuls zu geben, die politische Ordnung in den USA herauszufordern. Dieser politische Impuls ist der Hauptgrund für Trumps Kandidatur. Hillary Clinton hingegen repräsentiert das Establishment, dem viele Amerikaner misstrauen. Und doch liegt Clinton vorne, einerseits weil es Trump an Erfahrung fehlt und auch wegen seiner bombastischen und kontroversen Kampagne.
Das wichtigste journalistische Stück.
Ich glaube, unsere Recherchen, wer die beiden Kandidaten sind, und wie sie regieren würden, zeigen genau die Entscheidung auf, welche viele Amerikaner machen müssen: Entweder den übergrossen Unternehmer ohne politische Erfahrung zu wählen, oder auf Nummer sicher zu gehen mit einer erfahrenen aber nicht unumstrittenen Politikerin. «The Choice 2016» könnte das wichtigste journalistische Stück sein, das dem Zuschauer hilft zu verstehen, was bei diesen Wahlen geschieht.
Ich nehme an, Sie gehen jetzt in die Ferien, da Sie «The Choice» fertiggestellt haben? Was ist Ihr nächstes Projekt?
Ferien – was ist das? Ha, keine Erholung für unser Team! Während wir für «The Choice» drehten, haben wir parallel dazu auch noch für eine vierstündige Mini-Serie gefilmt, die in Amerika vor dem Amtsantritt des neuen Präsidenten im Januar 2017 ausgestrahlt wird. Der Titel dieser Serie lautet: «Divided States of America» (Geteilte Staaten von Amerika). Es ist eine Analyse, was in den letzten acht Jahren passierte, als Präsident Obamas Administration in Konflikt mit dem Kongress geriet.
Danach wird unser Team mit grosser Freude ein oder zwei Wochen Pause machen. Vielleicht im Februar in der Schweiz oder an einem sonnigen Strand? Haben Sie einen Vorschlag?
Ich kann Ihnen die Schweiz nur wärmstens empfehlen.