SRF DOK: Wie haben Sie den Rohrbruch erlebt? Was hat Sie in dieser Nacht aus dem Schlaf gerissen?
Birgit Munsch-Klein: Wir schliefen unter einem schrägen Fenster, als wir schlagartig durch das Prasseln des Wassers direkt über uns aus dem Schlaf gerissen wurden. Wir stürmten an unser Fenster in der Stube, aber auch da konnten wir nichts erkennen. Eine weisse Wasserwand vor unseren Augen, oben im sechsten Stock! Es dauerte einen verwirrenden, panischen Moment lang, bis wir begriffen: «Das Wasser kommt nicht von oben, es kommt von unten. Da steht die Welt einen Moment lang Kopf!»
Sie porträtieren in ihrem Film Ihre 84-jährige Nachbarin Elfriede Köpfli. Hatten Sie schon vor dem Rohrbruch einen engeren Kontakt zur Ihrer Nachbarin?
Elfriede Köpfli ist die gute Seele des Hauses. Sie kommt mit allen Nachbarn ins Plaudern. Uns stellte sie zum Beispiel selbstgezogene Kresse vor die Tür. Ich dagegen habe auch schon vermeintlich neue Nachbarn willkommen geheissen, die dann – wie sich herausstellte – bereits seit fünf Jahren im Haus wohnten.
In Ihrem Film zeigen Sie, wie das Leben von Elfriede Köpfli nach dem Rohrbruch ins Wanken gerät. Wie geht es Elfriede Köpfli heute, hat sie inzwischen alle Kisten ausgepackt? Fühlt sie sich in der sanierten Wohnung wohl?
Sie hat sich bis heute nicht richtig erholt. Sie ist mittlerweile 85 Jahre alt. Und ihr «Schwindel im Kopf», wie sie es sagt, vergeht nicht mehr. Elfriede Köpfli wohnte mehr als 40 Jahre in ihrer Wohnung, da kommt einiges zusammen. Ihr Hab und Gut befand sich mehr oder weniger unsortiert und nicht angeschrieben in Kisten. Und jetzt gibt es plötzlich auch noch Sachen, die gehören ihr gar nicht, denn beim Einlagern nach dem Wasserrohrbruch ist manches durcheinander geraten. Das ist verwirrend – für einen 85-jährigen Menschen erst Recht.
Welche Spuren hat die Wasserfontäne bei Ihnen und Ihrem Mann hinterlassen?
Mein Sommerurlaub ist baden gegangen. Mein Mann und ich wollten zuhause malen und musizieren. Stattdessen habe ich Listen für die Versicherung geschrieben. War die eine fertig, wollten sie die nächste. Es hat mich vollkommen frustriert. Und meinem Mann und mir hat dieser gemeinsame Urlaub sehr gefehlt. Das war zusätzlich belastend.
In Ihrem Film wird am Rande angedeutet, dass die Versicherungen der Stadt Zürich sich sperrten, für den gesamten Schaden aufzukommen. Sind Sie als Hausgemeinschaft gemeinsam aufgetreten oder hat jede Partei für sich selbst mit der Stadt Zürich verhandelt?
Mit unseren Bildern, die im Keller unter Wasser standen, war klar, dass es um einen sehr grossen Schaden ging. Wir mussten einen Anwalt einschalten. Für viele andere Betroffene war das Risiko der Anwaltskosten jedoch zu hoch. Da das Rohr nicht im Haus, sondern auf der Strasse geplatzt war, zahlten ja die meisten privaten Versicherungen nicht. Wir waren also ganz auf die Versicherung der Stadt angewiesen und auch gegenüber der Hausverwaltung fühlten wir uns oft machtlos. Wir haben dann im Haus einen gemeinsamen offenen Brief geschrieben, der sich an alle Verantwortlichen richtete, und der auch an die Presse ging, um endlich gehört zu werden. Die daraus entstandene Motion ist immer noch hängig.
Haben Sie inzwischen Frieden geschlossen mit dem Verlust, den Sie hinnehmen mussten?
Für mich war diese Erfahrung, der Umgang der Stadt mit uns, das Ringen um die Entschädigung nicht in Ordnung und eine bittere Erfahrung, die mich sehr lange beschäftigt hat. Ich war selbst überrascht, wie stark ich betroffen war. Oft hörte ich dieses abschwächende: «Zum Glück ist ja nichts passiert.» Das stimmt aber nicht. Dass etwas passiert ist, darum geht es in diesem «Reporter». Das zu erzählen, hat mir auch persönlich geholfen. In diesem Sinne habe ich etwas Frieden schliessen können.