In der Schule in Olongapo nennen sie alle nur «Milchfisch». Die achtjährige Philippinin Grace trägt ihre helle Hautfarbe wie ein allgegenwärtiges und nicht zu verbergendes Stigma. Wegen ihr wird sie überall ausgegrenzt und beschimpft.
Graces Vater ist Schweizer. Ihre Mutter Mary-Ann hatte sich mit 18 Jahren auf ihn, den Sex-Touristen, eingelassen. Gesehen hat ihn Grace noch nie. Ihre Mutter, so die Klassenkameraden, sei eine «Nutte». Grace sitzt am Tisch und zeichnet Wolken mit Gesichtern – unter ihnen eine weinende.
Für die Sextouristen eine Art Freundin auf Zeit
Graces Schicksal zeigen das deutsch-französische Autorenteam Susanna Dörhage und Sandy Palenzuela in «Mein Papa, der Sextourist». Anfang letzten Jahres haben sie das Mädchen und ihre Mutter Mary-Ann, eine Ex-Prostituierte, auf den Philippinen besucht.
Mit der Handkamera besuchen sie die engen Behausungen in Olongapo und gehen durch die staubigen Strassen von Angeles City. Palenzuela als Regisseur und Dörhage als Journalistin. Hier treffen sie Frauen, die sich – einige für ein paar Stunden, andere für wenige Tage – als eine Art Freundin auf Zeit mit einem Ausländer eingelassen haben und ein Kind von ihm bekommen haben.
Zu viert auf acht Quadratmetern
Graces Vater wohnt im Kanton Freiburg. Immer wieder besuchte er Mary-Ann auf den Philippinen, schenkte ihr Blumen und Schokolade – bis diese schwanger wurde und der Kontakt schliesslich abbrach.
Mary-Ann und Grace leben nun mit einer anderen Mutter und deren Mädchen in einem acht Quadratmeter grossen Zimmer. Als Wäscherin verdient Mary-Ann kaum genug, um die laufenden Kosten zu bezahlen oder die Ausbildung von Grace zu garantieren.
Ein erstes Treffen mit dem Vater
In Begleitung des Filmteams will Mary-Ann den Vater von Grace nun zur Verantwortung ziehen. Ob er sich dieser stellt, als die kleine Grace zum ersten Mal vor seiner Türe auf dem Schweizer Hof steht? Wird er Alimente für sie bezahlen?
Und was löst das Treffen mit dem Vater im kleinen Mädchen aus, welches seinen Vater so sehnlichst kennenlernen wollte? Kann es nach dem Besuch in der Schweiz etwas leichter mit seiner Hautfarbe und seinem Schicksal zurecht kommen?
Alles weit weg und doch so nah
Graces Leben und das anderer «Milchfische» habe sie sehr berührt, sagt Dörhage. Durch einen kurzen Fernsehbeitrag über solche Kinder sei sie auf das Thema gestossen.
«Das alles passiert weit weg, aber es geht uns alle an», sagt die Autorin. «Die Väter leben oft direkt um die Ecke, in der Schweiz oder sonst in Europa. Sie gehen nach dem Urlaub wieder nach Hause, und das Thema ist für sie beendet.» Die Kinder leiden damit nicht nur unter ihrem anderen Aussehen, sondern auch darunter, dass der Vater sie verlassen hat.
Prostitution wird nur wenig geahndet
Spielt der Titel der Dokumentation besonders auf die Perspektive des Kindes an, wird die Misere auch in einem grösseren Kontext gezeigt: Der Staat, der wegschaut, obwohl die Prostitution auf den Philippinen illegal ist, die Not, Hilflosigkeit und Diskriminierung der alleinerziehenden Frauen, und die weit verbreitete Ignoranz der Väter.
Viele auf dem Inselstaat teilen das Schicksal von Grace und Mary-Ann. Armut, eine geringe Strafverfolgung bei Prostitution und ein schnelles Wachstum der Sex-Tourismus-Industrie führen dazu, dass viele Philippininnen versuchen, als Prostituierte über die Runden zu kommen.
Keine andere Wahl
In Angeles City, nach Manila auf den Philippinen das zweitgrösste Zentrum für Prostitution, hoffen die jungen Frauen auf eine bessere Zukunft. Oft verlangen die Freier ungeschützten Geschlechtsverkehr, die Pille ist für die Frauen vielfach zu teuer.
Eine Wahl hätten die Frauen nicht, sagt Dörhage. Hinter ihrer Arbeit stecke reines wirtschaftliches Überleben: «Alle Prostituierten, die wir getroffen haben, würden sofort etwas anderes machen, wenn sie könnten.» Nur ein winziger Trost bleibt vielleicht: Dank einer Konvention, die nebst den Philippinen und der Schweiz rund 90 Länder ratifiziert haben, können die Väter wegen Kindesvernachlässigung belangt werden.