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Filmautorin Ullabritt Horn mit Benjamin Ferencz bei den Dreharbeiten zum Film
Legende: Filmautorin Ullabritt Horn mit Benjamin Ferencz bei den Dreharbeiten zum Film. Günter Distler

SRF DOK Unermüdlich gegen Kriegsverbrecher

Es ist ein Film, der aufwühlt. Eine Begegnung, die berührt. «DOK»-Redaktorin Christa Ulli erzählt, wie sie den Film «Der Unbeirrbare» über den Chefankläger der Nürnberger Prozesse, Benjamin Ferencz, entdeckte.

Zur Autorin

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Christa Ulli arbeitet seit 1998 bei SRF. Sie war Reporterin bei der «Rundschau» und Autorin von Dokumentarfilmen und «Reporter». Seit letztem Jahr ist sie redaktionell für den «DOK» am Mittwoch zuständig.

Oft fragt uns unser Publikum, wie wir die Dokumentarfilme für unser Programm am Mittwochabend auswählen? Wie wir sie finden und nach welchen Kriterien wir uns dafür oder dagegen entscheiden? Meist sind ganz sachliche Punkte entscheidend: Wie gut die Geschichte ist, ob sie journalistisch korrekt und relevant ist. Es kommt jedoch vor, dass diese Entscheidung ganz eigene Wege geht. Zum Beispiel bei der Wahl des Films «Der Unbeirrbare».

Ein Film nach dem anderen – stundenlang

November vor einem Jahr: Ich bin nach Amsterdam gereist, hier findet eines der grössten Dokumentarfilmfestivals statt, die IDFA. Seit dem Morgen sitze ich mit vielen anderen Menschen in einem Raum, wir alle starren in die Bildschirme vor uns. Zwischen uns Trennwände. An unseren Stühlen hängen Mäntel und Halstücher, am Boden liegen Taschen, vor uns liegen Notebooks und Unterlagen, auf denen wir Notizen machen. Wir sehen uns Dokumentarfilme an – einen nach dem anderen. Stundenlang.

Bei diesem Film bleibe ich dran, bis zum Schluss.

Auch ich bin auf der Suche nach neuen Filmen, die wir unserem Publikum zeigen möchten. Es ist ein grosses, anspruchsvolles Vergnügen, die Werke anzusehen. Diese vielen Filme, die mich in andere Welten führen. Oft auch traurig machen, nachdenklich stimmen. Es ist Nachmittag, als ich den Film mit dem Originaltitel «A Man Can Make a Difference» anklicke. Nicht selten passiert es, dass ich einen Film nach einigen Minuten wieder verlasse, weil ich erkenne, dass Thema und Machart nicht für unseren Sendeplatz geeignet sind. Bei diesem Film bleibe ich dran, bis zum Schluss.

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Ankläger, bei einem der wichtigsten Prozesse der Nachkriegszeit

Ich lerne da einen alten Herrn kennen. Benjamin Ferencz heisst er. Nie von ihm gehört… der Name sagt mir rein gar nichts. Egal, der Typ scheint witzig. Schnell wird mir klar, dieser alte Herr war einer der Chefankläger bei den Nürnberger Prozessen ab 1945 – und ist nun, mit 95 Jahren, agiler und brillianter Erzähler vor der Kamera einer Filmemacherin.

Benjamin Ferencz: Auch mit 94 Jahren ein unglaublich agiler und wacher Erzähler
Legende: Benjamin Ferencz ist auch mit 95 Jahren ein unglaublich agiler und wacher Erzähler. Screenshot

Je länger ich hinsehe, umso mehr nimmt mich dieser mir gänzlich unbekannte Benjamin Ferencz ein. Dieser Mann, der als junger Typ in einem der wichtigsten Prozesse der europäischen Geschichte Ankläger war, dieser Mann, der als Kind im Mickey-Mouse-Club war, dieser Mann, der aus einfachsten Verhältnissen kam und mit Glück zu Bildung fand, dieser Mann, der so viel Leid gesehen hat und so viel Verantwortung hatte, dieser Mann, der heute noch dafür sorgt, dass Kriegsverbrecher vor ein Richterpult kommen.

Begegnung am Teebüffet

Der Dokumentarfilm ist fertig. Ich lege die Kopfhörer zur Seite, atme durch. Es gibt Filme, bei denen kann man nicht einfach zum nächsten übergehen. Dieser ist so einer. Ich brauche eine kleine Pause. Im Raum nebenan ist ein Teebüffet, ich schenke mir ein und blicke gedankenverloren zum Fenster hinaus. Ich bin umgeben von vielen Stimmen, von vielen Menschen. Neben mir, an einem kleinen Stehtisch steht eine Frau. Unsere Blicke begegnen sich, wir nicken uns zu. Ich bin immer noch unter dem starken Eindruck des Films über Benjamin Ferencz und beginne der Frau ganz spontan von diesem Film zu erzählen, ich sage, wie berührt ich bin. Die Frau hört mir aufmerksam zu. Dann sagt sie: «Der Film ist von mir.»

Ullabritt Horn ist eine freundliche und interessante Gesprächspartnerin. Unsere Begegnung ermuntert sie, eine gekürzte Fassung ihres Filmes fürs Fernsehen zu machen. Wir telefonieren mehrmals, sprechen über mögliche Kürzungen. Gesehen haben wir uns seither nicht mehr, wir beide hoffen jedoch auf eine weitere Begegnung.

Der Film «Der Unbeirrbare – Benjamin Ferencz, Chefankläger» (Originaltitel: «A Man Can Make a Difference») wurde mehrfach ausgezeichnet.

Bei den Filmfestspielen Biberach erhielt Ullabritt Horn den Preis für den besten Dokumentarfilm. Die Begründung der Jury: «‹A Man Can Make a Difference› ist von beklemmender Aktualität. Der Film schlägt den Bogen vom Dritten Reich über den Völkermord in Ruanda bis ins heutige Syrien. Er ist ein leidenschaftliches Plädoyer gegen jegliche Form des Angriffskriegs als Mittel der Machtpolitik.»

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