Wer für Gerechtigkeit kämpft, sollte sich warm anziehen. Dafür ist die Geschichte von Walter Nowak ein eindrückliches Beispiel. Als er sich 2012 erstmals öffentlich über seine Zeit als Zögling im Thurgauer Kloster Fischingen äusserte, kam die Antwort postwendend: Der angeschuldigte Pater dachte via Thurgauer Zeitung laut über eine Verleumdungsklage nach. Nowak stand als mutmasslicher Lügner da.
Es dauerte rund zwei Jahre, bis den Medien ein 170-seitiger Bericht vorgestellt werden konnte, der das Bild klärte. Es ist ein Blick in menschliche Abgründe. Viele, die Kindern aus schwierigen Verhältnissen christliche Werte hätten vorleben sollen, erkannten in ihnen leichte Opfer und machten viele von ihnen kaputt. Und viele, die davon wussten, schauten weg.
Die Verjährung aushebeln
Dass dies öffentlich zugegeben werden musste, ist ein Etappensieg für Nowak. Aber er will mehr. Und zwar Gerechtigkeit, sagte mir Nowak immer wieder – am liebsten wären ihm Gerichtsverfahren, in denen Urteile gefällt, Strafen ausgesprochen und Genugtuungen zugestanden werden. Aber dazu wird es wohl nie kommen – wegen der Verjährung.
Der Zürcher Anwalt Philipp Stolkin vertritt Nowaks Interessen und möchte diese Verjährung aushebeln. Er hat in Strassburg eine entsprechende Klage anhängig gemacht. Würde Strassburg die Verjährung tatsächlich kippen, wäre der Weg unter anderem auch frei für Schadenersatzforderungen.
Medikamententests an Kindern
Davon ist Nowak in «Fall Münsterlingen» noch meilenweit entfernt. Das Kloster Fischingen hatte ihn 1970 in die psychiatrische Klinik Münsterlingen gebracht. Es war nämlich aufgefallen, dass seine Schulleistungen stark nachgelassen hatten – heute ist klar: eine Folge des Missbrauchs. In Münsterlingen testete der damalige Klinikdirektor Roland Kuhn zu jener Zeit Medikamente am lebenden Objekt – auch an Kindern. Was genau dort an wem getestet wurde und mit welchen Folgen, soll nun eine historische Aufarbeitung zeigen. Im Thurgauer Staatsarchiv lagert Kuhns privater Nachlass. Der Kanton will das umfassende Material auswerten lassen. Wann die Ergebnisse vorliegen, ist unklar – wohl frühestens in ein bis zwei Jahren.
Kampf gegen einen Pharma-Riesen
Spannend wird vor allem auch die Rolle der Pharma-Firmen sein, mit denen Kuhn zusammenarbeitete. Etwa Geigy und Ciba-Geigy, später aufgegangen in der heutigen Novartis. War ihnen damals bekannt, dass ihre Medikamente auch an Kindern getestet wurden? Wurde kontrolliert, ob Kuhn die damaligen Auflagen für Medikamententests einhielt? Und: Werden Opfer für ihre Spätfolgen entschädigt? «Zum jetzigen Zeitpunkt verzichten wir auf eine Stellungnahme», schreibt Novartis der Sendung «Reporter».
Nowak kämpft nun also auch noch gegen eine psychiatrische Klinik und einen Pharma-Riesen. Schwer zu sagen, wie weit er kommen kann. Denn er ist heute 58 Jahre alt und gesundheitlich bereits schwer angeschlagen.