SRF DOK: Bald beginnen die Olympischen Spiele in Brasilien, werden Sie sich die Eröffnung ansehen?
Florian Huber: Es wird mir gehen wie immer bei den Olympischen Spielen: Vorher verspüre ich keine Lust, dann schalte ich bei der Eröffnungsfeier den Fernseher an und bleibe hängen. Die Mischung aus Nummernrevue und Bombast hat eine skurrile Faszination, aber ich frage mich immer: Was ist die Botschaft? Von wem und für wen? Und da ich darauf keine Antwort finde, warte ich auf die peinlichen Momente – und die kommen immer. Das langweiligste an den Eröffnungsfeiern ist übrigens der Einmarsch der Nationen. Endlose Schlangen von winkenden Leuten, mit denen mich kaum etwas verbindet. Das war schon 1936 in Berlin so. Ich glaube, das wirkt ganz anders, wenn man im Stadion dabei ist.
Ihr Dokudrama befasst sich mit den sogenannten «Propaganda-Spielen» von 1936, wofür stehen diese Spiele ?
Die Berliner Spiele von 1936 waren so etwas wie die «Mutter der modernen Spiele». Da wurde vieles von dem angelegt, was Olympia bis heute verfolgt. Zum ersten Mal hat sich die Politik massiv in die Organisation und den Ablauf eingemischt, um die Spiele für Hitlers Regimezwecke zu benutzen. Zum ersten Mal kam hier die Frage von Menschenrechten auf, wegen der Diskriminierung jüdischer und schwarzer Sportler durch die Nazis. Infolge dessen kam es zum ersten Mal zu Boykott-Drohungen, vor allem seitens der US-Mannschaft. Stilbildend in dem Zusammenhang war auch der Zynismus der Funktionäre des IOC, die damals schon ihre Spiele über alle Bedenken humanitärer Art stellten. Schliesslich sah man in Berlin die ersten grossen Medienspiele, mit unzähligen Vorberichten, Klebealben, Radio- und Filmbeiträgen und den ersten Live-Sendungen im Fernsehen. Alles, was heute das Olympia-Spektakel ausmacht, wurde damals angelegt.
Dann waren diese Spiele also auch richtungsweisend was die Allianz von Sport und Propaganda betrifft. Wo finden sich heute noch Spuren davon?
Seit 1936 gab es viele Ausrichterländer, die ihre Spiele ohne Hemmung zur Selbstdarstellung genutzt haben. Kein autoritäres Regime lässt sich so etwas entgehen. Denken Sie in jüngster Zeit an die Spiele in Peking und in Sotschi. Da waren die Absichten immer ziemlich klar, sich als freundliche und perfekte Gastgeber zu inszenieren und kritische Gegenstimmen fernzuhalten.
Warum bietet sich diese Allianz denn überhaupt an, was machen sportliche Mega-Ereignisse so attraktiv für politische Zwecke?
Die Olympischen Spiele bieten ja eine aussen- und eine innenpolitische Funktion. Gegenüber dem Ausland kann man sich als friedliebendes und zugleich mustergültig funktionierendes Land darstellen. Im Inneren lässt sich damit das Wir-Gefühl, der nationale Stolz und damit der Zusammenhalt der Bevölkerung steigern. Das war schon 1936 so, als die Olympischen Spiele den Deutschen das Gefühl gaben, wieder in der ganzen Welt anerkannt und beliebt zu sein. Selten war die Zustimmung zu Hitler grösser als im Sommer 1936.
Ihr Dokudrama nimmt eine unerwartete Wende, als der Kommandant des Olympischen Dorfes erfährt, dass er jüdische Vorfahren hat. War seine Geschichte schon bekannt?
Nein, die Geschichte von Wolfgang Fürstner, dem ersten Chef und Erbauer des Olympischen Dorfes, war bis dahin der Öffentlichkeit völlig unbekannt. Dabei war er zur damaligen Zeit eine bekannte Figur. Es gab eine akademische Biografie vor nicht allzu langer Zeit. Die ist sehr genau, richtet sich aber an ein Fachpublikum. Darüber hinaus ist Fürstner nur Insidern bekannt, obwohl es mitten in Berlin auf dem Invalidenfriedhof einen Gedenkstein für ihn gibt.
Sie haben hier also ein neues Stück Geschichte ausgegraben – warum war es Ihnen wichtig, diese zu erzählen?
Die Figur Wolfgang Fürstner war zunächst nur eine von Dutzenden, die wir zu Olympia 1936 aufgespürt haben. Bei genauerem Hinschauen ist mir klar geworden, dass seine Geschichte eine grosse Metapher für diese Spiele ist. Da ist ein Mann, der mit Erfolg für das System und für Olympia steht und arbeitet. Plötzlich wendet sich dieses System gegen ihn, weil Zweifel an seiner Abstammung aufkommen. Und dann wenden sich nacheinander alle von ihm ab. Sein Sportverband, seine Militärkameraden, seine Parteifreunde, sogar seine Ehefrau. Er erfährt das Gesetz der Diktatur am eigenen Leib: Gehörst du dazu, dann kannst du alles erreichen; stehst du aber ausserhalb, ist das dein Todesurteil. Dass er einen Tag nach den Spielen dieses Todesurteil an sich selbst vollzieht, gibt seiner Geschichte eine grosse Tragik. Genau das wollte ich zeigen: Den widersprüchlichen Charakter dieser Spiele. Während Zehntausende fröhlich feierten, geschahen zugleich abgründige Dinge.
Nun mag es Menschen geben, die der Ansicht sind, man solle die Geschichte ruhen lassen. Sie sehen das offensichtlich anders, sonst hätten Sie diesen Film nicht gemacht. Woran arbeiten Sie als nächstes?
Als Historiker mit Leib und Seele kann ich ja unmöglich für einen Schlussstrich plädieren. Dazu gibt es auch gar keinen Anlass, denn es besteht in unserer Gesellschaft ein riesiges Interesse an der eigenen Geschichten, gerade an ihren Abgründen. Die Leute wollen und sollen einfach wissen, wie wir dahin gekommen sind, wo wir heute stehen. Deswegen mache ich natürlich weiter. Derzeit arbeite ich an einem Buch über das deutsche Familiendrama der Nachkriegszeit. Wer für den Schlussstrich ist, muss es ja nicht lesen. Ich bin aber ziemlich sicher, dass das viele Menschen interessieren wird.