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SRF DOK Whistleblower – Querschläger oder Märtyrer?

Sie spüren Angst, Wut und Zweifel – dann machen sie es trotzdem. Sie riskieren, alles zu verlieren. Whistleblower sind Menschen, die ein tiefes Gerechtigkeitsgefühl haben. Aus einer inneren Not heraus fühlen sie sich gezwungen, die Öffentlichkeit über einen Betrug oder Missbrauch zu informieren.

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Vera Freitag, geboren in Zürich, realisierte nach ihrem Filmstudium in San Francisco etliche Musikvideos. Seit ihrer Rückkehr in die Schweiz arbeitet sie als freie Dokumentarfilmerin.

Einige Whistleblowerskandale haben in den letzten Jahren für Aufregung gesorgt. Ich habe mich fundiert mit diesen Fällen auseinandergesetzt und mich gefragt, was die einzelnen Fälle bewirkt haben? Was sie gemeinsam haben, und weshalb sie so unterschiedlich verlaufen sind? Zum einen hat jeder Einzelne dazu beigetragen einen Missstand, der bis anhin im Dunkeln lag und kaum öffentlich thematisiert wurde, ans Licht zu bringen. Zum andern sind alle Whistleblower eine Art Punkrocker unter Bürokraten. Die meisten sind in einer Arbeitswelt tätig, aus der sie ausbrechen möchten. Ihr Ziel ist es, eine Veränderung in Gang zu setzen, um das Fehlverhalten ihrer Mitarbeiter nicht länger akzeptieren zu müssen. Im Grunde schlagen sie mit der Faust auf den Tisch, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf einen Missstand zu lenken.

Ein Unrecht aufdecken und publik machen

Ich wollte einen Film über Whistleblower machen, die als einzige Motivation die Überzeugung hatten, ein Unrecht aufzudecken und publik zu machen. Zudem wollte ich den Vergleich wagen, zwischen der Schweiz und den USA als Ort des Geschehens, weil beide Länder zu den modernsten Demokratien gehören und doch sehr unterschiedlich sind. Auch bin ich in beiden Ländern zu Hause und habe mich fundiert mit den beiden Rechtslagen auseinandergesetzt. Am wichtigsten ist es mir aber, die komplexe Situation aufzuzeigen, in der sich Whistleblower befinden.

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Strafrechtler Daniel Jositsch über einen «Whistleblower-Award»
Aus DOK vom 09.12.2015.
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Wer wagt, gewinnt – aber zu welchem Preis?

Whistleblowing ist in den letzten Jahren mehr und mehr Teil der öffentlichen Debatte geworden. Gesellschaftliche, wissenschaftliche und technische Entwicklungen sind immer komplexer und damit für Aussenstehende weniger durchschaubar geworden. Entsprechend ist das Bedürfnis gestiegen, dass die für die Allgemeinheit relevanten Abläufe in Politik, Wirtschaft und Verwaltung transparent gemacht werden.

Transparenz ist ohne Insider-Informationen nicht zu haben. Dort, wo Whistleblowing stattfindet, dient es meist dem öffentlichen Interesse, denn so können Risiken und Missstände erkannt und behoben werden. Unsere Gesellschaft gewöhnt sich nur langsam an den Umgang mit Whistleblowern, entsprechend ambivalent sind die öffentlichen Reaktionen. Je nach politischer Gesinnung hält man sie für VerräterInnen oder HeldInnen. Tatsache ist, dass der Gang an die Öffentlichkeit eine politische Debatte über Betrugsbekämpfung ausgelöst hat. Gleichzeitig wird Whistleblowing mancherorts mit Denunziantentum und Nestbeschmutzung assoziiert. Gesellschaftlich ausgegrenzt und isoliert, sind Whistleblower Anfeindungen und Mobbing ausgesetzt, mit Kündigungen und Strafverfolgung als Folge.

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Fristlos entlassen: Esther Wyler und Margrit Zopfi
Aus DOK vom 09.12.2015.
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Der Zürcher Sozialhilfe Missbrauch

Nachdem sie elf Jahre auf dem Sozialamt Zürich gearbeitet hat, händigt Margrit Zopfi geheime Dokumente über den Missbrauch von Steuergeldern an den «Weltwoche»-Journalisten Alex Baur aus. Es werden krasse Fälle von Sozialhilfemissbrauch publik. Esther Wyler, eine Mitarbeiterin im Sozialamt, kontaktiert den Journalisten und bestätigt die skandalösen Details. Im Amt wird nach dem Leck gesucht, und der Druck steigt mit jedem neuen Artikel, der erscheint. Schliesslich treten die beiden Frauen hervor und bekennen sich als die Whistleblowerinnen des Sozialamts. Sie werden verhaftet und wegen Amtsgeheimnisverletzung angeklagt. Ein mehrjähriger Prozess beginnt, der bis zum Bundesgericht gezogen wird.

Im Alleingang gegen den Strom schwimmen

Der mutige Alleingang der Amerikanerin Sherron Watkins war ein gewagtes Unterfangen. Als Finanzspezialistin deckte sie 2001 betrügerische Zahlen in der Bilanz des Energiekonzerns Enron in den USA auf. Es stellte sich heraus: Die Konzernführung hatte systematisch Zahlen gefälscht. Sie dachte, die falsche Buchführung könne leicht behoben werden und wendete sich mit einem Brief an die Konzernleitung. Doch zu ihrem Erschrecken wussten die Herren in der Chefetage Bescheid und hatten nicht vor, etwas zu ändern.

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Der Enron-Skandal: Sharron Watkins erinnert sich
Aus DOK vom 09.12.2015.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 53 Sekunden.

Noch bevor Sherron sich einen neuen Job angeln konnte, meldete der Konzern den Bankrott an. Nicht Sherron, sondern der Buchhaltungsbetrug führte zum Untergang der Firma. Doch Sherron Watkins Brief wurde als Hauptbeweismittel vor Gericht verwendet. Ihr Anprangern von Betrug führte zu einem der grössten Wirtschaftsskandale der amerikanischen Geschichte. In Retrospektive erzählt die Whistleblowerin wie es war, gegen einen Wirtschaftsgiganten vor Gericht auszusagen.

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