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Swipen, Ghosting, Burnout 290 Matches bis zur Beziehung – warum ist Dating so anstrengend?

Online-Dating verspricht Nähe, doch viele erleben Frust, Überforderung und Selbstzweifel. Warum Dating-Apps auslaugen – und immer mehr Menschen wieder echte Begegnungen suchen.

Leila hatte eine Pause vom Dating eingelegt. Zu anstrengend, zu viele enttäuschende Begegnungen, zu viel Aufwand: «Ich habe das Gefühl, es konsumiert viel Zeit, die man eigentlich gerne in andere Dinge investieren würde», erzählt die 20-Jährige. «Ich hatte keine Lust mehr, es hat mich ziemlich ausgelaugt.» Vor persönlichen Treffen sei sie oft sehr nervös gewesen, und am Ende hätten diese selten das gehalten, was die Dating-Profile versprachen. Mal wirkten die Männer anders als online, mal drehten sich die Gespräche rasch um ihre Ex-Freundinnen. Ein No-Go für sie.

Viele Matches, wenig Dates, kaum Beziehungen

Bis es aber überhaupt zu einem Date kommt, braucht es oft viel Swipe-Arbeit. Eine Studie aus Norwegen hat ausgerechnet, dass es im Schnitt 57 Matches auf der Dating-App Tinder braucht, bis es zu einem ersten Treffen kommt, unabhängig davon, ob jemand eine Beziehung oder einen One-Night-Stand sucht. Hochgerechnet sind es übrigens über 290 Matches, bis sich eine feste Beziehung entwickelt.

Man hat das Gefühl, Dating sei ein Job, bei dem man nicht gesehen wird.
Autor: Michelle Perreten Psychologin

«Man swipt stundenlang und hat doch kaum reale Begegnungen. Diese Begegnungen können, wenn es eine gute Zeit mit jemandem ist, aber auch Energie geben», sagt die Psychologin und Beziehungsexpertin Michelle Perreten. «Diese Mischung aus energiezehrenden Elementen führt bei vielen zu einem Ungleichgewicht. Man fühlt sich ausgelaugt, frustriert, zweifelt am eigenen Wert und hat das Gefühl, Dating sei ein Job, bei dem man nicht gesehen wird.»

Dating-Apps können auch zu einer Überforderung durch die grosse Menge an Möglichkeiten führen. Studien zeigen, dass mehr Auswahl oft zu weniger Zufriedenheit führt. Das spiegelt sich auch bei der Partnersuche. «Das Überangebot an potenziellen Matches kann unsere Entscheidungsfähigkeit stark belasten oder sogar lähmen», sagt Michelle Perreten. «Bei zu vielen Optionen swipen wir oft endlos weiter oder treffen schnelle Entscheidungen womöglich nach oberflächlichen Kriterien.»

Beziehungen brauchen Zeit und Entwicklung.
Autor: Kai Dröge Soziologe

Auch für Mike ist das die grösste Herausforderung beim Online-Dating. «Ich habe mir oft gedacht, es passt eigentlich gut, aber dann störte mich etwas Kleines, wie zum Beispiel, dass diese Person nicht die genau gleiche Musik hört wie ich.» Anstatt der Person eine Chance zu geben, habe er weiter geswiped und nach jemandem gesucht, der noch besser passen könnte. Dieses ständige Vergleichen habe ihn belastet, sagt der 29-Jährige. «So möchte ich nicht sein.» Auch der Soziologe Kai Dröge sieht darin ein grundlegendes Problem. Die Verfügbarkeit vieler Optionen führe dazu, dass man sich seltener auf eine Person wirklich einlasse. «Doch Beziehungen brauchen Zeit und Entwicklung», sagt er. Und genau diese Geduld gehe im schnellen digitalen Kontext oft verloren.

Studien zeigen, dass viele Dating-Apps wie ein Markt funktionieren, in dem Entscheidungen in Sekunden fallen. Für diese erste Auswahl zählt vor allem das Profilbild, Persönlichkeit oder Humor spielen kaum eine Rolle. Diese Oberflächlichkeit und die Orientierung an Schönheitsnormen bekam auch Nicole direkt zu spüren. Sie erzählt, dass sie deutlich weniger Likes bekam, als sie 15 Kilogramm mehr wog. «Das kann einen kaputtmachen», sagt die 23-Jährige. «Ich habe mich gefragt, ob ich hässlich und nicht liebenswert sei.»

Zugleich bleibt Dating durch Benachrichtigungen und ständige Erreichbarkeit permanent präsent. «Jede Benachrichtigung erinnert an Bewertung und mögliche Zurückweisung», sagt Michelle Perreten. «Das kann Stress, innere Unruhe oder Erschöpfung auslösen.»

Aktivität ist die Währung auf diesen Plattformen.
Autor: Kai Dröge Soziologe

Aber wie viele Likes man bekommt, hängt nicht nur vom Profilbild ab. «Aktivität ist die grosse Währung auf diesen Plattformen», sagt Kai Dröge. Und Tinder schreibt, dass eine regelmässige aktive Nutzung zu mehr Sichtbarkeit führe. «Hinter den Apps steckt auch ein ökonomisches Interesse. Die Plattformen wollen, dass Nutzer möglichst lange aktiv bleiben. Sie nutzen ähnliche Mechanismen wie andere soziale Medien: endloses Scrollen, Benachrichtigungen, neue Vorschläge.» Man werde ständig daran erinnert, dass es noch Matches, Nachrichten oder Optimierungsmöglichkeiten gibt. All das hole uns immer wieder zurück. «Das erschwert es, echte Verbindungen aufzubauen, weil der Prozess nie zu Ende geht.»

Auf Euphorie folgt oft Ernüchterung

Laut Expertinnen können Dating-Apps auch durchaus Vorteile haben. Man lernt mehr Leute kennen, die sich ausserhalb des eigenen Umfeldes bewegen. Gerade Menschen, die nicht gerne ausgehen, haben so eine Alternative, und der erste Kontakt ist meistens einfacher, als jemanden im echten Leben anzusprechen.

Wie viele Paare lernen sich online kennen?

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Bei Beziehungen, die in den letzten fünf Jahren begonnen haben, lernte sich laut Bundesamt für Statistik jeder Vierte über eine Online-Plattform oder Dating-App kennen.

Die anfängliche Euphorie kippt aber oft nach ein paar Wochen, wie eine Studie untersucht hat. Viele erleben Misstrauen, wiederkehrende Enttäuschungen oder das Gefühl, austauschbar zu sein. Um sich zu schützen, investieren sie weniger: Dates werden kurz, Gespräche oberflächlich. Genau das macht Begegnungen jedoch weniger bedeutungsvoll.

Auch Ghosting gehört für viele dazu. Leila erzählt, dass Kontakte manchmal von einem Tag auf den anderen verschwanden, ohne Erklärung. «Nach einem persönlichen Date gar nichts mehr zu sagen, finde ich respektlos», sagt sie. Gleichzeitig hat sie selbst schon geghostet, allerdings nur dann, wenn sie online beleidigt worden sei. Laut Michelle Perreten kann das plötzliche Schweigen nach intensivem Kontaktaufbau dazu führen, dass Betroffene bei sich selbst die Gründe suchen und Selbstzweifel entwickeln. Wenn Leila sich verletzt fühlt, sagt sie sich: «Es liegt nicht an mir. Ich kann nichts dafür, dass diese Person nicht kommunizieren möchte. Sonst würde ich immer an mir zweifeln.»

Was ist Ghosting?

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Ghosting beschreibt einen plötzlichen, unangekündigten und unerklärten Kontaktabbruch in einer (potenziellen) Beziehung. Die betroffene Person wird ohne Erklärung stehen gelassen, Nachrichten bleiben unbeantwortet, der Kontakt bricht schlagartig ab, was sie häufig ratlos zurücklässt.

59 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer fühlten sich wegen Online-Dating schon erschöpft oder frustriert, wie eine Umfrage aus Deutschland zeigt. Für manche bleibt es nicht bei Frust oder Enttäuschungen, die Belastung kann sich mit der Zeit verstärken. «Was Überforderung mit uns macht, ist individuell», sagt Michelle Perreten. «Im schlimmsten Fall kann es zu emotionaler Erschöpfung, Rückzug und Stimmungseinbrüchen führen.»

Online-Dating kann zu Burnout führen

Eine Studie der Psychologin Wera Aretz zeigt, dass rund 14 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer Symptome eines sogenannten Dating-Burnouts erleben. Es handelt sich dabei nicht um eine psychische Krankheit, aber um einen Zustand, der mit emotionaler Erschöpfung, Zynismus oder dem Gefühl der Überforderung verbunden sein kann. «Es lohnt sich, die Nutzung bewusst zu steuern und Pausen einzuplanen», sagt Perreten.

Leila hat nach ihrer Dating-Pause wieder langsam damit begonnen, zu daten. Da sie aber Dating-Apps gegenüber skeptisch eingestellt ist, versucht sie ihr Glück an einem Offline-Dating-Event und lernt so Menschen im «echten Leben» kennen. «Vom Gespräch her merkt man schneller, ob es passt oder nicht. Es zieht sich nicht über Wochen mit Schreiben und Telefonieren» erzählt sie. Damit scheint sie nicht die einzige zu sein.

Zurück zu echten Begegnungen

Einige Dating-Apps scheinen an Schwung zu verlieren. Darauf deuten unter anderem Zahlen der Match Group hin, dem Konzern hinter Tinder, OkCupid und Hinge. Im Jahr 2025 meldete das Unternehmen rund fünf Prozent weniger zahlende Nutzerinnen und Nutzer als im Jahr davor. Gleichzeitig suchen viele wieder stärker nach realen Begegnungen. Die Ticketplattform Eventbrite verzeichnet einen deutlichen Anstieg bei Veranstaltungen für Singles, und auch in der Schweiz gibt es inzwischen eine Vielzahl solcher Angebote.  

Auch aus psychologischer Sicht können Offline-Events entlastend wirken. «Viele berichten dort von weniger Auswahl, was die Entscheidungsfähigkeit stärkt», sagt Michelle Perreten, «Offline erhält man zudem durch die Begegnung und die Interaktion mehr Informationen zum Menschen selbst.» Mimik, Stimme und Präsenz würden Kontext schaffen und kleine Unsicherheiten schneller verziehen, weil die ganze Person sichtbar und erlebbar ist.

Leila hat an ihrem ersten Offline Event zwar keinen passenden Partner gefunden, möchte es aber definitiv noch weitere besuchen. «Und vielleicht gibt es auch einzelne Dates über die App», sagt sie. «Aber mal schauen, wie lange ich das noch mache.»

«SRF Impact Reportage»

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SRF 2, 4.12.2025, 23:16

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