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Tablettenmissbrauch Tödliche Medikamentendosis: Ein Rap-Paar trauert um seinen Sohn

Sie rappen über Drogen, bis ihr eigener Sohn an Tabletten stirbt. Jetzt wollen sie vor Medikamentenmissbrauch warnen.

«Dank Xanax konnte ich den Alltag auslöschen und alles vergessen.» Die junge Frau, die mittlerweile clean ist, redet offen über ihre Medikamentensucht und schaut dabei direkt in die Kamera. Samir Jebeniani filmt, seine Frau Dionne Jebeniani führt das Interview.

Das Rap-Paar plant eine Web-Doku zum Thema Medikamentenmissbrauch und redet dafür mit Menschen, die Arzneimittel nehmen, um sich zuzudröhnen.

Tote Teenager

Der Auslöser für die Doku ist ihr eigenes Schicksal: Ihr 15-jähriger Sohn Devin schluckte in der elterlichen Wohnung gemeinsam mit einem gleichaltrigen Mädchen verschreibungspflichtige Tabletten. Beide Teenager starben.

Szene aus einem Rapvideo der Protagonisten
Legende: Samir Jebeniani aka ZH Beats und Dionne Jebeniani aka Amazhone: Die Eltern des verstorbenen Devin in einem ihrer Musikvideos. «Gsezhlos – Nie wieder arm»

Die Tragödie, die sich im August 2020 ereignete, sorgte landesweit für Schlagzeilen. Im Fokus: die Eltern des Jungen. Sie sind in der Rap-Szene bekannt für ihre harten Texte und provozierenden Videos.  

Image als Gangsta-Rapper belastet

Dionne Jebeniani, die unter dem Namen Amazhone rappt, fühlt sich verunglimpft. Aufgrund ihres Gangsta-Rap-Images würden die Leute ihnen eine Mitschuld am Tod ihres Sohnes geben. Dabei seien sie weitaus angepasster, als ihre Musik vermuten liesse.

Devins Stiefvater SamirJebeniani, bekannt als Rapper und Musikproduzent ZH Beats, will seine kriminelle Vergangenheit längst hinter sich gelassen und seinen beiden Söhnen ein gesittetes Leben vorgelebt haben: «Wir selber haben nie irgendwelche Medis geschluckt, um high zu werden.»

Medikamentenmissbrauch unter Jugendlichen

Devin ist kein Einzelfall. Alarmierend viele Teenager missbrauchen rezeptpflichtige Arzneimittel, wie eine aktuell noch laufende Studie der Uni Zürich zeigt. Pro Klasse nehmen mindestens zwei Schüler und Schülerinnen regelmässig Medikamente. Dass ihr Sohn mit gefährlichen Präparaten experimentierte, hätten sie nicht realisiert.

Mutter Dionne betont: «Wir haben ihn über Drogen aufgeklärt. Wir wussten, dass er auch schon mal gekifft hat.» Weshalb der 15-Jährige zu Pillen und Tabletten griff, können sie nur vermuten: «Er hörte vor allem Deutschrap. Möglich, dass gewisse Texte ihn zum Medikamentenkonsum verleiteten.»  

Glorifizierung von Medikamenten

Beliebte deutschsprachige Rapper, unter ihnen auch Capital Bra, prahlen in Songs und Videos mit ihrem Medikamentenkonsum. Sie verherrlichen den Rausch von starken Arzneimitteln wie dem Angstblocker Xanax oder Tilidin, einem schmerzstillenden Opioid.

Porträtbild des deutschen Rappers Capital Bra
Legende: Der deutsche Rapper Captial Bra besingt in seinem Song «Tilidin» den Mischkonsum. IMAGO/Jan Huebner

Auch codeinhaltiger Hustensaft, als Mischgetränk mit Limonade im Slang «Lean» genannt, wird von den Interpretinnen und Interpreten gehypt und verharmlost.

Jugendliche eifern dem Lifestyle ihrer Vorbilder nach und können dabei die Gefahren von Medikamenten meist nicht abschätzen. Das Risiko steigt um ein Vielfaches, wenn verschiedene Substanzen miteinander gemischt werden.  

Weg von der Gangkultur

Samir, der als Rapper ZH Beats das raue Leben auf der Strasse thematisiert, rappte ebenfalls über Drogen.

Seinem Stiefsohn habe er diese Songs bewusst vorenthalten, doch was seine Botschaften bei jugendlichen Fans bewirken könnten, habe er zu wenig bedacht: «Das war scheisse und tut mir im Nachhinein leid.»

Mittlerweile hinterfragt der Familienvater die Inszenierungen von Ghetto und Gangkultur und will in Zukunft die Kids mit seinen Rap-Texten positiv beeinflussen. 

Lähmender Schmerz

Die Arbeit an ihrer Web-Doku zum Thema Medikamentenmissbrauch kommt nur schleppend voran. Die Interviews mit den Betroffenen triggern. Der Schmerz lähmt.

Trotz alledem haben diese Begegnungen in therapeutischer Hinsicht, wie Dionne sagt, für sie auch Gutes: «Es baut Schuldgefühle ab.» Sie hätten Familien getroffen, denen die Gesellschaft attestieren würde, alles richtig gemacht zu haben. Und trotzdem waren ihre Kinder süchtig nach Medikamenten.

Das Problem sei in allen sozialen Schichten der Gesellschaft zu finden, wie Corina Salis vom Schweizerischen Institut für Sucht und Gesundheitsforschung gegenüber SRF erklärt.  

Wichtige Trauerarbeit

Auch wenn Verdrängen phasenweise funktioniert: Der Verlustschmerz sitzt tief, unverändert. Zwar habe ihre Beziehung unter dem emotionalen Dauerstress gelitten, doch die Arbeit an ihrem Film-Projekt schweisst das Rap-Paar zusammen. Die Hoffnung, ihre Web-Serie habe eine Signalwirkung, spendet ihnen Trost.  

Einer ihrer Protagonisten ist der Rapper und Familienvater JK Devante. Von der Sucht gezeichnet, warnt er vor der Kamera eindringlich vor codeinhaltigem Hustensirup.   

«Es ist eine tödliche Mischung. Lasst die Finger davon!»

SRF 1, 30.03.2023, 20:05 Uhr

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