Tierfreie Käseproduktion - Mikroorganismen ersetzen Kühe: Ist das der Käse der Zukunft?
Vegane Käse-Alternativen gibt es schon länger. Sie werden auf Basis von Soja oder Cashewnüssen hergestellt. Eine neue Dimension von tierfreiem Käse kommt nun aus dem Labor: Statt Kühe füttert man Mikroorganismen, die dann naturidentische Milchproteine produzieren.
Die revolutionäre Technologie nennt sich «Präzisionsfermentation». Mit ihr lassen sich Milchproteine wie Kasein oder Molke im Labor herstellen. Die Proteine sind das Kernelement bei der Käseherstellung.
Sie sind verantwortlich für Geschmack und Textur – also beispielsweise auch dafür, dass der geschmolzene Käse Fäden zieht.
Bei der Präzisionsfermentation wird die DNA von Mikroorganismen wie Hefen, Bakterien oder Pilzen verändert. Die Mikroorganismen werden genetisch so programmiert, dass sie dasselbe tun wie sonst Kühe, Schafe oder Ziegen: Milchproteine herstellen.
Gentechnik? Ja, aber
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Bei der Präzisionsfermentation kommt Gentechnik zum Einsatz: Es wird gezielt in das Genom der Mikroorganismen eingegriffen. Die ausgeschiedenen Proteine sind allerdings frei von Gentechnik, da Proteine selbst keine DNA enthalten.
Das Endprodukt, also der Käse, ist somit frei von Gentechnik – anders als beispielsweise genmanipulierter Mais. Voraussetzung dafür ist, dass die verwendeten Mikroorganismen von den Proteinen getrennt werden. Diese Filtration sorgt dafür, dass im Endprodukt weder der gentechnisch veränderte Organismus noch seine DNA nachweisbar sind.
Das Zauberwort dabei heisst Fermentation. Es handelt sich dabei um einen Stoffwechselprozess, der in der Lebensmittelproduktion schon seit Jahrhunderten genutzt wird. Auch die Herstellung von Bier oder Sauerteig-Brot ist nur dank Fermentation durch Mikroorganismen möglich.
Für die Herstellung des tierfreien Käses werden die gewonnenen Proteine dann mit Wasser, pflanzlichen Fetten, Kohlenhydraten und Gewürzen vermischt. Danach kann der Käse wie in der traditionellen Käseproduktion verarbeitet und gelagert werden – je nach gewünschter Käsesorte.
Das Resultat: Kein pflanzliches Ersatzprodukt, sondern Käse aus echten Milchproteinen. Der entscheidende Unterschied zum tierischen Pendant: Der ökologische Fussabdruck des Labor-Käses ist geringer.
Das ökologische Versprechen
Diese neue Form der Käseherstellung verspricht, sogar deutlich ökologischer zu sein. Unternehmen, die in diesem Bereich arbeiten, sprechen von etwa 90 Prozent Co2-Reduktion. Auch der Verbrauch an Wasser und Landfläche soll deutlich geringer sein als bei tierischer Käseproduktion.
Ein Schweizer mischt vorne mit
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Der Winterthurer Raffael Wohlgensinger hat in Berlin vor 5 Jahren die Firma «Formo» gegründet. Das Start-up des 30-Jährigen hat seither viel in die Forschung und Entwicklung der tierfreien Käseherstellung mittels Präzisionsfermentation investiert. Im Jahr 2021 erhielt das Food-Tech-Startup von Investoren eine Rekordfinanzierung von 52 Millionen Euro. Professor Hühn bezeichnet Wohlgensingers Firma als ein «Frontrunner» in der Branche.
Neben Frischkäse und Feta hat das Unternehmen auch Rührei im Sortiment – ebenfalls hergestellt aus naturidentischen Labor-Proteinen. Zu Beginn werden die Produkte im deutschen Einzelhandel ungefähr 20 Prozent teurer sein als vergleichbare tierische Produkte.
Professor Hühn vom Institut für Lebensmittel- und Getränkeinnovation an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) sagt dazu: «Erste Analysen deuten darauf hin, dass die Öko-Bilanz zu Gunsten der Präzisionsfermentation ausfällt. Es fehlt aber ein Systemvergleich unter Praxisbedingungen, der alle Faktoren für eine Massenproduktion berücksichtigt.»
Landwirtschaft: Konkurrenz oder Kooperation?
Die Käseproduktion mit Labor-Proteinen könnte in Zukunft die landwirtschaftliche Käseproduktion konkurrieren.
Der Schweizer Bauernverband sagt dazu: «Aus aktueller Sicht sehen wir keine ernsthafte Konkurrenz, sondern vielmehr eine Nische. Schweizer Käse ist ein Naturprodukt mit viel Tradition und einer grossen geschmacklichen Vielfalt.»
Ganz ohne Landwirtschaft kommt aber auch der Labor-Käse nicht aus: Die Mikroorganismen werden meist mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen gefüttert, beispielsweise aus Mais.
Ein boomender Markt
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Lebensmittelproduktion mittels Präzisionsfermentation hat in den letzten Jahren einen Boom erlebt. Weltweit ist unter verschiedenen Start-ups ein Wettkampf entfacht.
In Singapur und den USA sind erste Produkte aus naturidentischen Labor-Proteinen bereits auf dem Markt. Dies auch dank liberaler Lebensmittelgesetze.
In der EU dürfte es bis zur Zulassung noch eine Weile dauern, da es sich um sogenannte «neuartige Lebensmittel» handelt. «Zuerst werden die Produkte von den Expertinnen und Experten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) geprüft. Danach haben die EU-Mitgliedstaaten ein Einspruchsrecht von 18 Monaten und können weitere Untersuchungen anfordern», sagt Professor Hühn.
Die Schweiz folgt bei der Zulassung in der Regel der EU. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) sagt dazu: «Wenn eine ausländische Behörde ein Fermentationsprodukt zulässt, kann es ohne Bewilligung des BLV in Verkehr gebracht werden, sofern die Behörde ein Bewilligungsverfahren anwendet, das mit dem in der Schweiz vergleichbar ist.»
Sicher ist: Stand heute kann der Labor-Käse kein Bio-Zertifikat erhalten. Bio Suisse begründet das so: «Im Biolandbau ist jegliche Art von Gentechnik nicht erlaubt – auch nicht, wenn durch die Fermentation keine Gentechnik mehr im Milcheiweiss nachweisbar ist.»
SRF 2, Reporter, 24.01.2024, 21:00 Uhr
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Christoph Muggler
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