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Tunnelbau am Gotthard Mineure kämpfen gegen die unberechenbare Geologie am Gotthard

Sprengen, baggern, fräsen: Tief unter dem Gotthardmassiv bauen Mineure aus ganz Europa die zweite Gotthard-Röhre.

«Bei der Sprengladung haben wir ungefähr 140 Kilogramm, das ist wenig. Ich hatte schon Sprengungen mit 1200 Kilogramm. Da war aber was los, das gab ein Erdbeben», scherzt Mineur Franz Gössnitzer. Gerade sprengt er einen Durchgang zu einem Fluchttunnel der ersten Röhre des Gotthard-Tunnels.

Der Österreicher ist Polier im Sprengvortrieb. Er stammt aus dem Mölltal in Kärnten. Das Tal wird auch das «Tal der 1000 Gummistiefel» genannt. Viele Mineure, die in den verschiedenen Tunnelbauprojekten in Europa arbeiten, stammen aus dieser Region.

Seit 37 Jahren ist Franz Gössnitzer im Tunnelbau tätig. Mit seinem fünfköpfigen Team arbeitet der Kärntner im Gegenvortrieb zur zweiten Strassenröhre am Gotthard. Die ersten 500 Meter des neuen Tunnels werden von innen nach aussen gebaut – aus Zeitgründen. 

Mineure aus ganz Europa

Die Tunnelarbeiter kommen aus den unterschiedlichsten Ländern. «In meiner Schicht habe ich Portugiesen, Italiener, Deutsche und einen Österreicher. Aber auch mit Slowaken, Polen oder Franzosen habe ich schon zusammengearbeitet.»

Die Bereitschaft bei uns Schweizern ist nicht wahnsinnig gross, zum Arbeiten an einen anderen Ort zu gehen.
Autor: Markus Keller Baustellenleiter Göschenen

Nur Schweizer findet man im Tunnel so gut wie keine. «Das ist die Realität», erklärt Baustellenleiter Markus Keller. Als Baustellenleiter ist der Nidwaldner für die Tunnelarbeiten am Haupttunnel in Göschenen verantwortlich. «Die Bereitschaft bei uns Schweizern ist nicht wahnsinnig gross, zum Arbeiten an einen anderen Ort zu gehen. Wir sind eine Nation, die sehr stationär ist.»

Störzonen am Gotthard

Die zweite Röhre am Gotthard wird erstellt, damit man die erste Röhre sanieren kann. 2016 hat das Schweizer Stimmvolk dem Bau zugestimmt. Die Kosten werden auf 2.14 Milliarden Franken geschätzt und umfassen den Bau der neuen Röhre sowie die anschliessende Sanierung des bestehenden Strassentunnels. 

Tief im Berg – vier Kilometer vom Portal in Göschenen entfernt – befindet sich eine von zwei sogenannten Störzonen. Das sind Bereiche, die geologisch heikel sind und aufgrund der Druckverhältnisse im Berg nicht mit der Tunnelbohrmaschine durchbohrt werden können. In der Störzone im Norden müssen gut 300 Meter Tunnel mit konventionellen Vortriebsmethoden erschlossen werden. Für den Zugang zu diesem Bereich wurde eigens ein Zugangsstollen gebohrt.

Anspruchsvolle Geologie

Hier arbeitet Polier Robin Lora, auch er Mineur mit Leib und Seele. Auch er ein Österreicher aus dem Kärntner Mölltal. Täglich kämpfen er und seine Männer mit ständig wechselnden Bedingungen. «Auf der einen Seite der Wand können wir sprengen, auf der anderen Seite müssen wir das Gestein vorsichtig mit dem Bagger abtragen.» Die Geologie ist unberechenbar – trotz Sondierungsbohrungen.

Sprengen ist für uns das Normale.
Autor: Robin Lora Polier Störzone

Deshalb kommen die Mineure nur langsam voran. «Sprengen ist für uns das Normale. Wenn wir nicht mehr sprengen können, dann wird es anspruchsvoll.» Unter diesen schwierigen Bedingungen schaffen die Tunnelbauer durchschnittlich nur fünf Meter pro Woche. Ein Bruchteil im Vergleich zum Sprengvortrieb, bei dem etwa 30 Meter Tunnelröhre pro Woche herausgebrochen werden.

Die Tunnelbohrmaschine – eine Fabrik im Berg

Die Tunnelbohrmaschine – kurz TBM – schafft im Vergleich zwischen 120 und 140 Meter pro Woche. Mit ihr soll die Hauptarbeit beim Vortrieb erledigt werden. Die TBM ist wie eine Fabrik: vorne wird gebohrt, dahinter setzen die Mineure im Schutz des Stahlschildes die sogenannten Tübbinge. Diese Betonelemente bilden einen Ring, in den später Werkkanäle, Belüftung und schliesslich die Strasse eingebaut werden.

Quelle: Bundesamt für Strassen Astra Tunnel-Durchmesser 12.7 Meter

Die über 100 Meter lange Tunnelbohrmaschine wird vor dem Portal in Göschenen zusammengesetzt und Stück für Stück in den Berg geschoben. Herzstück ist der Bohrkopf mit einem Durchmesser von rund zwölf Metern. Darauf befinden sich 74 Rollenmeissel, die später das Gestein abtragen. Sechs Monate dauert es, die riesige Maschine zusammenzubauen. Sie ist ein Unikat, hergestellt nur für diese eine Röhre.

Unfälle auch heute nicht ausgeschlossen

Die Geschichte des Tunnelbaus am Gotthard reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Sie begann mit dem Bau des Eisenbahntunnels. Er wurde 1882 eröffnet und war damals mit 15 Kilometern der längste Tunnel der Welt. Beim Bau kamen rund 200 Arbeiter ums Leben, mehr als 13 Tote pro Kilometer. Sie wurden von Felsenbrocken erschlagen, von Sprengstoff zerfetzt, durch Lokomotiven zerquetscht, oder sie ertranken.

Die vielen Toten waren ein Grund, dass das Dorf Göschenen eine eigenständige Gemeinde wurde. Vor 150 Jahren gehörte Göschenen noch zur Gemeinde Wassen. Doch als die Zahl der Toten stetig anstieg, fand man in Wassen, die Göschener sollen doch die sterblichen Überreste auf ihrem eigenen Grund und Boden begraben. Also wurde Göschenen eine eigenständige Gemeinde mit eigenem Friedhof. 

Verglichen mit damals haben sich die Arbeitsbedingungen und Sicherheitsvorkehrungen bis heute massiv verbessert. Die Baustelle ist gut ausgeleuchtet und bestens belüftet. Die meisten Arbeiten können die Mineure mithilfe von Maschinen erledigen.

Tunnelbau ist Teamarbeit.
Autor: Markus Keller Baustellenleiter Göschenen

Doch trotz modernster Technik bleibt ein Restrisiko: Unfälle sind auch heute nicht gänzlich ausgeschlossen. Die Faszination, den Berg zu bezwingen, steht für Markus Keller jedoch im Vordergrund. «Tunnelbau ist Teamarbeit. Es warten jeden Tag neue Herausforderungen. Wer nicht mit Veränderungen umgehen kann, ist hier im falschen Job.»

Andrehfeier als Startschuss

Mit der Andrehfeier in Göschenen und Airolo im Februar 2025 begann die Hauptarbeit an der zweiten Röhre. Ab jetzt sind die Tunnelbohrmaschinen im Einsatz.

Die Maschine im Norden heisst Alessandra, benannt nach der Tochter von Baustellenleiter Markus Keller. «Dies war ein Wunsch der Mineure», betont er. Alessandra ist professionelle Mountainbikerin und zweifache Siegerin des Gesamtweltcups. «In ihrem Sport wie im Tunnelbau braucht es gute Kondition und Durchhaltewillen. Denn der Aare-Granit ist härter als Eisen, das beansprucht die Maschine sehr.» 

Die ersten Wochen läuft die Maschine im Testbetrieb. Alle zwei Meter wird der Vortrieb gestoppt, um die Tübbinge zu setzen. Parallel dazu kontrollieren die Mineure die 190 Kilogramm schweren Rollenmeissel am Bohrkopf, die regelmässig ausgewechselt werden müssen.

Aare-Granit bringt Tunnelbohrmaschine an den Anschlag

Der Verschleiss durch den Granit ist immens. Acht bis zehn Rollenmeissel müssen die Männer pro Tag wechseln. Das dauert. «Die Zeit fehlt uns dann beim Vortrieb», erklärt Polier Franz Gössnitzer. Noch liegt die Vortriebsleistung unter den Erwartungen. Für eine Bewertung ist es Baustellenleiter Markus Keller aber noch zu früh: «Ob wir es unterschätzt haben oder nicht, weiss man erst, wenn wir ein paar Kilometer mit der Tunnelbohrmaschine gefahren sind.» 

Der Durchstich am Gotthard ist für 2027 geplant. Dann sollen die Mineure aus Göschenen in der Mitte des Bergmassivs auf ihre Kollegen aus Airolo treffen, die vom Süden her an der zweiten Röhre arbeiten. Die Tunneleröffnung soll 2030 stattfinden.

SRF 1, Mona mittendrin, 01.05.2025, 20:05 Uhr

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