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Vereinbarkeit von Job und Kind Das Dilemma erwerbstätiger Mütter

82 Prozent aller Mütter in der Schweiz sind berufstätig. Der ewige Spagat zwischen Familie und Beruf ist für viele Frauen noch immer eine enorme Belastung. Wie soll frau allem gerecht werden?

Erwerbstätig zu sein, ist für viele Mütter in der Schweiz heute eine Selbstverständlichkeit. Doch bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie hapert es noch immer.

Viele Mütter haben mit schlechtem Gewissen, den Kindern und den Arbeitgebern gegenüber, zu kämpfen. Nicht selten führt die Doppelbelastung zu Stress und Erschöpfung.

Nach sechs Monaten zurück im Job 

Michaela Müller ist vor sieben Monaten Mutter geworden. Nach sechs Monaten daheim mit dem Baby ist sie frisch zurück in ihrem Job als Sozialarbeiterin. An einem Bürotag muss sie früh los, um ihre kleine Tochter vor der Arbeit in die Kita zu bringen.

Manchmal habe ich das Gefühl, ich würde sie abschieben.
Autor: Michaela Müller Mutter und Sozialarbeiterin

Obwohl sie weiss, dass ihre Tochter dort gut aufgehoben ist, plagen sie Gewissensbisse: «Manchmal habe ich das Gefühl, ich würde sie abschieben.» Michaela Müller arbeitet in einem 60-Prozent-Pensum. Ihr Mann arbeitet 80 Prozent, an seinem erwerbsfreien Tag ist er für die Kinderbetreuung zuständig. Für beide war von Anfang an klar, dass sie sich beide aktiv um Familie und Haushalt kümmern wollen. 

Abpumpen zwischen Geschäftsterminen 

Als frisch gebackene Mutter hat sich Michaela Müllers Arbeitsalltag verändert. Die Mehrfachbelastung führt zu Zeitdruck. Hinzu kommt, dass sie ihre sieben Monate alte Tochter stillt und während ihrer Bürotage zwei- bis dreimal abpumpen muss. Dafür muss sie sich jeweils zwischen den Terminen zurückziehen können.

Ihr selbstgewähltes 60-Prozent-Pensum ist für Michaela eigentlich ideal: Sie liebt ihren Job, aber auch das Muttersein füllt sie aus. Trotzdem: Stress und wenig Planbarkeit setzen die junge Mutter unter Druck. Hinzu kommt die Kritik von aussen. «Den einen ist mein Pensum zu hoch, den anderen zu niedrig.»

«Ich bereue abgestillt zu haben»

Stillen ist auch Kristina Tschuor sehr wichtig. Bei ihrem ersten Kind machte die gelernte Pflegefachfrau diesbezüglich aber schlechte Erfahrungen.

Wegen des Zeitdrucks und der hohen Arbeitsbelastung wurde das Stillen für sie zur Strapaze. Das führte dazu, dass sie beim zweiten Kind frühzeitig abstillte – was sie im Nachhinein bitter bereut.

Stillrecht in der Schweiz

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Im Schweizer Arbeitsrecht sind die Stillzeiten für Mütter wie folgt abgebildet:  

Im ersten Lebensjahr des Kindes gilt die Zeit zum Stillen oder Abpumpen im und ausserhalb des Betriebs als bezahlte Arbeitszeit ( Art. 60, ArGV1

  • bis zu einer Arbeitszeit von 4 Stunden mindestens 30 Minuten 
  • ab einer Arbeitszeit von 4 Stunden mindestens 60 Minuten 
  • ab einer Arbeitszeit von 7 Stunden mindestens 90 Minuten

Wenn man die Kinder tagelang nicht sieht

Kristina Tschuor ist zu 100 Prozent erwerbstätig, während ihr Mann die drei Buben und den Haushalt managt. Das Paar hat dieses Familienmodell bewusst gewählt. Kristina Tschuor ist im Vergleich zu ihrem Mann, was ihre Ausbildung betrifft, besser gestellt.

Ausserdem entspricht diese Rollenverteilung auch ihren jeweiligen Fähigkeiten. Doch der Preis für die Mutter ist hoch: Oftmals sind die Kinder schon im Bett, wenn die gelernte Pflegefachfrau nach Hause kommt: «Es ist schon sehr traurig für mich, wenn ich sie teilweise drei Tage am Stück nicht sehe.»

Die von den Tschuors gewählte Rollenverteilung ist in der Schweiz noch immer ungewöhnlich. In knapp fünf Prozent der Schweizer Haushalte erledigt hauptsächlich der Mann die Hausarbeit.

Auch im Umfeld der Tschuors ist Andriu der einzige Hausmann. Oft ist er auch der einzige Vater, der die Kinder zum Training bringt oder abholt. In den Köpfen herrsche, meint Andriu Tschuor, noch immer das traditionelle Rollenbild: «Wenn ich wasche oder koche, bekomme ich von Drittpersonen Komplimente. Meine Frau würde dafür wohl kaum Anerkennung bekommen.»

Chefin oder Mutter?

Auch Jacqueline Krause-Blouin hat neben dem Muttersein zusätzlich im 100-Prozent-Pensum als Chefredaktorin der Zeitschrift «Annabelle» gearbeitet. Nach vier Jahren gab sie jüngst die Leitung ab: «Ich wollte mir beweisen, dass ich Kind und Karriere vereinbaren kann und bin an meinem eigenen Ideal der ‹Working Supermom› gescheitert.»

Die Bekanntgabe sorgte für Schlagzeilen, was Jacqueline Krause-Blouin selbst überrascht hat. «Ich hätte nicht gedacht, dass es ein Tabu ist, offen darüber zu reden.»

Neben vielen unterstützenden Worten gab es auch Kritik: Man könne nicht sowohl den Fünfer als auch das Weggli haben und Ähnliches wurde ihr vorgeworfen.

Zudem wurde ihr Rücktritt missverstanden und so ausgelegt, als sei es nicht möglich, als Mutter berufstätig zu sein. Das war nie Jacquelines Intension: «Ich habe immer gesagt, dass man Kind und Job vereinbaren kann. Es ist einfach schwierig».

Der neue Feminismus beinhaltet für mich Ehrlichkeit unter Frauen.
Autor: Jacqueline Krause-Blouin Journalistin

Jacqueline Krause-Blouin ist, wichtig zu betonen, dass die Gesellschaft – gerade auch Frauen – nur dann weiterkommen, wenn sie offen und ehrlich miteinander über ihre Erfahrungen sprechen. «Der neue Feminismus beinhaltet für mich Ehrlichkeit unter Frauen.»

In der Schweiz ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für viele, insbesondere für Mütter, nach wie vor eine Herausforderung. Zwar ändern sich die Rollenmuster langsam, aber die Haus- und Familienarbeit erledigen nach wie vor vorwiegend die Frauen – trotz Berufstätigkeit.

Dazu kommt, dass bezahlbare Kinderbetreuung längst nicht für alle Familien zugänglich ist. Ohne die Mithilfe der Grosseltern wären viele Familien aufgeschmissen.

SRF 3, 27.06.2023, 10:15 Uhr

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