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Yaakov Perry
Legende: «In Israel kennen wir das. Jetzt kommt dieses Phänomen auch in Europa an. Gesteuert vom IS», sagt Yaakov Perry. SRF

Von Israel lernen «Es wird noch schlimmer in Europa»

Yaakov Perry arbeitete 30 Jahre lang für den israelischen Inlandgeheimdienst Shin Bet, sechs Jahre lang war er Direktor dieser Behörde. Heute stellt er ernüchtert fest, dass die israelische Friedenspolitik strategielos sei.

Als Geheimdienstchef sass Yaakov Perry regelmässig mit dem Premierminister und seinem Kabinett am Tisch. Immer wieder habe er den Politikern gesagt, es sei dringend nötig, dass Israel eine Strategie entwickle, die zu einer Lösung des Palästinakonflikts führe.

«Das ist bis jetzt nicht passiert», stellt Perry fest. Der Konflikt sei weiter ungelöst. Dafür gebe es verschiedene Gründe. «Aber der Hauptgrund ist: Keine Strategie.»

Das ist nicht der Weg, wie man Terror bekämpft.

Die Frage nach einer Strategie stellt sich auch für Europa zusehends dringlicher – einer Strategie im Kampf gegen den islamistischen Terror.

«Kein Zweifel, dass es noch schlimmer wird in Europa. Denn es gibt eine Dynamik, wenn Terrororganisationen etwas als erfolgreich betrachten. Wenn sie damit Panik verursachen können. Und wenn die Sicherheitsbehörden nicht wirklich vorbereitet sind», so Perry.

Perry sagt, was in Israel viele Experten für sicherheitspolitische Fragen denken: Europa habe in Sachen Terrorbekämpfung schlicht seine Hausaufgaben nicht gemacht. Von der Schweiz gar nicht zu reden.

Die Tatsache, dass der Schweizer Geheimdienst, der sogenannte «Nachrichtendienst des Bundes», über gerade mal 300 Mitarbeiter verfügt, kommentiert Perry folgendermassen: «Vielleicht waren 300 Mitarbeiter und ein kleiner Geheimdienst früher richtig. Weil die Bedrohungen kleiner waren. Aber das ist nicht der Weg, wie man Terror bekämpft.»

Der erste Schritt muss von Israel kommen.

Perry kennt die Materie aus dem Effeff. Als Geheimdienstchef hatte er Zugang zu den sensibelsten Informationen. «Ich werde nie alles sagen, was ich weiss», erklärt Perry. Aber er sagt vieles – auch erstaunlich Selbstkritisches.

Zum Beispiel: «Als ehemaliger Direktor eines Geheimdienstes kann man nicht kommen und sagen: All meine Operationen waren streng nach Lehrbuch, genau nach dem Gesetz, keine Umgehungen… Das wäre nicht wahr. Das gilt übrigens für jeden Beruf, nicht nur für Geheimdienste.»

Aber auch in Zusammenhang mit der Politik Israels nimmt Perry kein Blatt vor den Mund. Einerseits bezeichnet er sich als stolzen Israeli, der für sein Land getötet habe. Andererseits erklärt er die bisherige Friedenspolitik für strategielos – und mithin gescheitert. Es brauche eine Zwei-Staaten-Lösung. Und die Welt erwarte, «dass der erste Schritt für Verhandlungen mit den Palästinensern von Israel kommt».

Der erste Schritt

Nach seiner Karriere beim Geheimdienst war Perry Topmanager in der Privatwirtschaft, später Minister im Kabinett von Benjamin Netanyahu. Heute sitzt er für die liberale Zentrumspartei Jesch Atid (deutsch: Es gibt eine Zukunft) als Abgeordneter in der Knesset. Die Umfragewerte von Jesch Atid sind ausgezeichnet. Es könnte also gut sein, dass seine Partei den nächsten Premierminister stellt. Spätestens dann wäre auch Perry in der Pflicht: Er und seine Partei müssten eine Strategie für die Lösung des Palästinakonfliktes vorlegen – und durchsetzen.

Der erste Schritt wäre aus Perrys Sicht «eine regionale Partnerschaft zwischen Israel, Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien und der Mehrheit der Golfstaaten». Diese könnten eine Art «regionalen Schirm bilden, unter dem wirklich verhandelt werden kann mit den Palästinensern. Damit bekämen die Palästinenser politischen Rückhalt und auch einen ökonomischen Rückhalt».

So könnten wirkliche Verhandlungen anfangen – wie immer mit unsicherem Ausgang. «Ich rede noch nicht von einer endgültigen Lösung», sagt Perry.

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