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Wanderherde im Baselbiet Mit 650 Schafen durch den Kanton Basel-Landschaft

Sie zählt Schäfchen – aber nicht zum Einschlafen: Schäferin Sarah Müri führt im Winter eine Wanderherde von rund 650 Schafen durch den Kanton Basel-Landschaft.

Sarah Müri hat die wohl treusten Follower. «Ich bekomme jeden Tag Likes», scherzt die 41-jährige Schäferin, während sie einen engen Waldweg entlangläuft. In ihrem Schlepptau: 650 Schafe.

Oder eben ihre Follower. Jeweils von Mitte November bis Mitte März zieht sie mit den Schafen von einer Weide zur nächsten, immer auf der Suche nach gutem Gras.

Pure Romantik und trotzdem immer im Stress

Es ist eine beruhigende Geräuschkulisse, wenn Hunderte Schafe friedlich grasen. Die Glocken klingen, hier und da ein Blöken.

Dazwischen leitet Sarah Müri immer mal wieder mit einem «Laufe, laufe, laufe» die Hütehunde «Cayu», «Seven» und «Farrell» an. Diese sind für sie wie lebende Zäune und halten die Schafe zusammen.

Sarah Müri mit ihrem Hirtenhund und 650 Schafen
Legende: Nach zwei bis drei Stunden geht es für Sarah Müri und die Schafe zur nächsten Weide. SRF

Eine Szenerie, die Emotionen weckt: ein Gefühl der Romantik und der Sehnsucht nach mehr Gelassenheit und Ruhe. Doch das Bild trügt. Denn die Schäferin muss immer wachsam sein und steht stetig unter Druck. Abschalten geht nicht.

Das Aushalten der Stille

Zwei bis drei Stunden grasen die Schafe jeweils auf einer Weide, bevor sie zur nächsten laufen. Auch in dieser ruhigen Zeit weicht der Blick von Sarah Müri nie weg von den Schafen.

Täglich so viel Zeit zu haben, das ist nicht immer förderlich. Und ich kenne viele, die genau damit hadern.
Autor: Sarah Müri Schäferin

Und gleichzeitig fangen die Gedanken an, in der Stille zu kreisen, und es gibt viel Zeit zum Nachdenken. «Täglich so viel Zeit zu haben, das ist nicht immer förderlich. Und ich kenne viele, die genau damit hadern», sagt die Schäferin.

Es braucht Stabilität, denn es gäbe viele Möglichkeiten, dieses Loch, diese Leere zu dämpfen. Zum Beispiel mit Alkohol oder Rauchen.

Ein radikaler Lebenswandel

Aufgewachsen ist Sarah Müri in einem Block in Bülach (ZH), gelernt hat sie Vermessungszeichnerin und hat auch auf diesem Beruf gearbeitet. «Manchmal habe ich es aber fast nicht ausgehalten und ich kam nicht klar mit der Arbeit», erzählt sie.

Heute sind neben ihren Hunden die Schafe das Wichtigste. «Ich habe mir gesagt, ich arbeite lieber selbst und ständig, als dass ich denke, ‹Ach, endlich Freitag›. Das wollte ich nicht mehr.»

Schafe haben oberste Priorität

Das neue Leben als Schäferin hat aber auch seinen Preis. Der Lohn reicht gerade zum Leben, Zeit für Freundschaften gibt es wenig. «Irgendwann kam halt der Entscheid, Familie ja oder nein», sagt Sarah Müri. «Ich habe mich für Nein entschieden». Denn ohne Schafe als Nummer eins geht es nicht.

Schweiz verzeichnet rund 30 Wanderherden

Box aufklappen Box zuklappen

In der Schweiz sind ca. 30 Wanderherden von Mitte November bis Mitte März unterwegs. Die Herden bestehen dabei meist aus noch nicht schlachtreifen Lämmern, da es sich vielfach nicht lohnt, diese über den Winter im Stall auszumästen.

Schafe sind sehr kälteresistent und können ihr Futter sogar unter einer mehrere Zentimeter dicken Schneeschicht hervorscharren und fressen im Gegensatz zu Kühen und Rindern auch gefrorenes Gras.

Die Herde zieht weiter. An der Spitze läuft Sarah Müri und treibt die Schafe mit «Chum, chum, chum» an. Es geht über Waldwege, Felder und durchs Gebüsch, acht Kilometer bis ins nächste Tal.

«Schön langsam laufen, sonst komme ich hier nicht mehr hoch», sagt sie plötzlich bei einem steilen Aufstieg. «Ich habe einen Herzklappenfehler. Wenn ich schneller mache, kommt mein Herz nicht nach.»

Ihr Arzt meint aber, sie könne weitermachen, solange es geht. «Ich muss einfach auf den Körper hören. Aber eventuell lebe ich darum so, wie ich lebe.» Ihr Leben heute leben, das will Sarah Müri. Denn wer weiss schon, was morgen kommt.

SRF 1, 06.03.2023, 21:00 Uhr;kesm

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