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Einstein Online Biohacking: Frischer Wind für die verkrustete Wissenschaft

Die Wissenschaft steht vor einem gewaltigen Umbruch. Dank sinkender Kosten für Equipment, kann heute jeder ein eigenes Labor einrichten. Weltweit gibt es immer mehr sogenannte Biohacking-Räume. Einer davon in Lausanne.

Im Hackuarium bei Lausanne gibt es alles, was man als Biohacker braucht: Petrischalen, Reagenzgläser, Pipetten, Messzylinder, Trichter. Etwa 50 Biohacker arbeiten hier in ihrer Freizeit regelmässig an verschiedenen Projekten. Einige forschen zum Spass, bringen Pflanzen zum leuchten, machen Kunstwerke mit bunten Bakterien.

Der Lausanner Musiker und Komponist Serge Vuille entwickelt zurzeit eine Musik-Installation aus einem Hefe-Zucker-Konzentrat. Durch die Fermentierung von Hefe und Zucker entsteht ein Gas, das Luftblässchen erzeugt. Ein Mikrofon zeichnet das Blubbern auf und schickt die Signale an eine Musik-Software, mit der Rhythmus und Tempo bestimmt werden.

Komponist Serge Vuille steht im Labor
Legende: Komponist Serge Vuille macht Musik mit einem Hefe-Zucker-Konzentrat. SRF/Philipp Bürkler

Andere wiederum verfolgen kommerzielle Ziele und wollen ihre Idee auf den Markt bringen. Robotik-Studenten bauen einen Rover, der Wissenschaftler im ewigen Eis der Antarktis bei der Arbeit unterstützen soll. Ein Biologe tüftelt an einer Maschine, um Proteine von Bakterien zu trennen. Solch ein Gerät kostet auf dem Markt mindestens 15'000 Franken. Der Biohacker will eine ähnliche Maschine für 500 Franken anbieten.

Laborkosten sind im Keller

Massiv sinkende Preise sind der Hauptgrund, weshalb die Biohacker-Szene momentan global durchstartet. Noch bis vor wenigen Jahren konnten nur Universitäten oder Grosskonzerne genügend finanzielle Ressourcen aufbringen, um teure Labore zu betreiben. «Mittlerweile sind die Kosten für Equipment um den Faktor 100 oder sogar 1000 gesunken», sagt der Gründer und Betreiber des Hackuariums, Luc Henry. «Heute kauft man Maschinen für wenige hundert Dollar».

In der Schweiz würden Universitäten und Forschungsinstitutionen teure Geräte zudem oft wegwerfen, wenn sie nicht mehr auf dem neusten Stand seien. «Dank Spenden solcher noch vollfunktionsfähigen Geräte, haben wir unser Labor praktisch kostenlos eingerichtet», erzählt Henry, der selbst Biologe ist.

Die Biologie wird durchgeschüttelt

Die Idee für das Hackuarium kam ihm nach Besuchen in Städten wie Amsterdam oder Paris. Dort ist die Szene seit etwa fünf Jahren aktiv. Mittlerweile poppen Biohacker-Labore weltweit auf. «Ich war total fasziniert, von dem, was die da machten». Warum also nicht auch in Lausanne? Biohacking bringe frischen Wind in die verkrustete und festgefahrene Wissenschaft, sagt der junge Biologe.

TV-Tipp

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Bio-Hacker Marc Dusseiller hat seine erfolgreiche Forscherkarriere hingeschmissen und experimentiert nun in seinem Heimlabor. «Einstein» zeigt den Wissenschafts-Rebell im Porträt – am Donnerstag, 4. Februar 2016, 21 Uhr.

Tatsächlich wird die Bio-Wissenschaft derzeit richtig durchgeschüttelt. Mit der synthetischen Biologie steht unsere Gesellschaft vor einer Revolution, mit vergleichbaren Dimension wie in den 1990er-Jahren, als das Internet kurz vor dem kommerziellen Durchbruch stand, vermuten Fachleute. Synthetische Biologie und Biochemie sind Teil der momentan viel zitierten vierten industriellen Revolution.

Anders als bei der Gentechnik, die lediglich Gene von einem auf einen anderen Organismus transferiert, können mit synthetischer Biologie völlig neue Organismen von Grund auf hergestellt werden. Diese Möglichkeit, «Gott zu spielen», macht die Biohacker-Bewegung für Outsider so unberechenbar.

Züchtung von Killer-Viren und Monstern?

Züchten Biohacker Horror-Monster und Killer-Viren, die die gesamte Menschheit auslöschen könnten? Luc Henry gibt Entwarnung: «Wir züchten hier keine Monster.» Biohacker würden nach ethischen Grundsätzen der DIY-Biology-Charta arbeiten. Es gehe nicht darum, das Gesetz zu brechen, sondern lediglich die Regeln zu ändern, sagt Henry: «Wir versuchen, Werkzeuge anders zu nutzen, als die Industrie vorgibt.»

Der Dialog mit der Öffentlichkeit sei dabei enorm wichtig. «Viele Menschen wissen nicht, was ein Bakterium ist.» Mit regelmässigen Veranstaltungen will das Hackuarium die Öffentlichkeit für das Biohacking sensibilisiert. Kunstprojekte wie jenes von Serge Vuille werden die Biologie nicht revolutionieren, sie sorgen aber dafür, dass Biohacking in der Öffentlichkeit zunehmend bekannter wird und vorhandene Zweifel aus dem Weg räumt.

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