Tobias Müller: Frau Waldvogel, bei mir wurde ein sehr hoher Testosteron-Wert gemessen. Heisst das, ich werde ein schlechter Vater sein?
Patricia Waldvogel : Nein, keineswegs. Neben Faktoren wie Gewicht oder sportlicher Aktivität muss man bei der Interpretation Ihrer Werte bedenken, dass Sie als Nicht-Vater natürlicherweise einen höheren Testosteron -Wert haben als Väter. Ihr Wert kann, wenn Sie einmal Vater werden, noch drastisch sinken: Das passiert normalerweise beim Übergang zur Vaterschaft, also während der Schwangerschaft und nach der Geburt des ersten Kindes.
Also stellt sich mein Körper auf den Papa-Job ein ...
Ja, biologisch kann diese Veränderung es dem Vater erleichtern, sich in die neue Rolle einzufinden. Es ist also nicht so, dass Männer mit hohen Testosteron-Werten grundsätzlich weniger geeignet sind, Vater zu werden. Aber diese Anpassung fällt bei jedem Vater unterschiedlich stark aus
Sind denn Väter mit einem tiefen Testosteron-Wert wirklich hingebungsvoller?
Bisherige Studien zeigen, dass ein niedriger Testosteron-Wert mit der väterlichen Fürsorge einhergeht – quantitativ und auch qualitativ: Solche Väter interagieren tendenziell also nicht nur häufiger, sondern auch sensibler und kindgerechter mit ihren Kleinkindern. Und so ein Verhalten wirkt sich umgekehrt wieder auf die Hormone aus. Man(n) ist seinen Hormonen folglich nicht komplett ausgeliefert, sondern kann mit seinem Verhalten zur biologischen Anpassung beitragen.
Sie haben das untersucht: Ein hoher Wert macht es einem Vater aber schon schwerer, oder?
Wir haben uns in unserer Studie weniger auf die aktive väterliche Fürsorge fokussiert, sondern auf ihre subjektive Bedeutung für die Väter. Festgestellt haben wir: Männer mit höheren Testosteron-Werten berichten eher, dass die Vaterschaft sie zu gewissen Einschränkungen zwingt. Zwar nehmen sie ihre neue Rolle als genauso bereichernd wahr wie die Väter mit niedrigeren Testosteron-Werten. Doch sie haben gleichzeitig das Gefühl, auf andere Dinge verzichten zu müssen.
Sie haben auch noch andere Hormone untersucht – was haben Sie festgestellt?
Neben dem Testosteron haben uns das Sexualhormon Estradiol und das Stresshormon Cortisol interessiert. Die Auswertungen dazu sind noch im Gange; erste Ergebnisse erwarten wir in den nächsten drei Monaten. Aber bisherige Studien deuten darauf hin, dass die Vaterschaft auch niedrigere Cortisol-Spiegel und einen Anstieg von Estradiol mit sich bringt.
Was würde das bedeuten?
Das weiss man noch nicht genau. Bisher wurden diese Hormone vor allem in Tierstudien mit väterlicher Fürsorge in Verbindung gebracht. Inwiefern diese – insbesondere auch in Kombination mit den individuellen Testosteron-Werten – beim Menschen zu einer gelungenen Vaterschaft beitragen, müssen nun weitere Untersuchungen zeigen.
Was bedeuten nun Ihre Forschungsergebnisse für die Väter?
Grundsätzlich kann man sagen, dass fast alle Väter, die an unserer Studie teilgenommen haben, ihre Rolle als sehr bereichernd wahrnehmen – unabhängig von ihren Testosteron-Werten. Doch sie empfinden diese Rolle als unterschiedlich stark vereinbar mit weiteren Interessen und Lebensinhalten. Und sie nehmen sich als Vater unterschiedlich kompetent wahr. Man muss davon wegkommen, dass man Vaterschaft nur auf eine Art ausleben kann. Es gibt ja verschiedene Wege, wie man diese Rolle zufriedenstellend erfüllen kann.
Forschungsobjekt «Männer 40+»
Den einen idealen Vater gibt es für Sie also nicht?
Nein. Vielleicht müssen wir also vom Gedanken wegkommen, dass es eine «richtige» Art und Weise gibt, wie sich ein Vater zu verhalten hat. Wir sollten bei den Erwartungen auch der individuellen Veranlagung Rechnung tragen. Denn letztlich ist ein zufriedener Vater, der sich in seiner Rolle wohl fühlt und aktiv mit ihr auseinandersetzt, auch ein guter Vater.