«Gerade heute Abend wurde der Ablauf nochmals angepasst», sagt Sascha Reist und wühlt in einem Stapel Papier, auf dem das Programm des Eurovision Song Contest festgehalten ist. Der SRF-Produktionsleiter nimmt es gelassen. Dass trotz mehrfacher Proben kurz vor Sendestart um 21 Uhr noch Änderungen reinkommen, ist für ihn eigentlich normaler Alltag.
Eigentlich. Denn so eine grosse Produktion wie der Eurovision Song Contest (ESC) ist für den 41-Jährigen trotz jahrelanger Erfahrung «eine Herausforderung», wie er selbst sagt. Letztes Jahr war er erstmals als Produktionsleiter für den ESC am Start – jedoch noch mit Unterstützung. Und nun verantwortet er die Produktion alleine.
Gelassenheit in der Regie
Dafür, dass Sascha Reist in dieser Woche also gewissermassen sein ganz eigenes Debüt feiert, wirkt er jedoch erstaunlich entspannt. Und nicht nur er: Die Stimmung in der Senderegie am SRF-Standort Zürich Leutschenbach ist an diesem Donnerstagabend – dem zweiten Halbfinale – überaus locker.
Liegt es daran, dass die Crew nicht vor Ort in Basel arbeitet? Sascha Reist: «Die Regie, die Bildtechnik, der Grafiker und der Tonmeister, mit denen ich heute Abend arbeite, haben allesamt viel Erfahrung. Wenn etwas ist, kann ich mich mit ihnen beratschlagen.»
Die geballte Erfahrung an den Schaltpulten ist jedoch nicht die einzige Absicherung von Sascha Reist. Damit eine Produktion in dieser Grössenordnung ungestört vonstattengeht, braucht es entsprechende Vorkehrungen. Richtlinien. Checklisten. Notfallkonzepte.
Zufall gibt es nicht
Sascha Reist zeigt auf einen der unzähligen Bildschirme in der Regie. Sie alle scheinen auf den ersten Blick dieselben Live-Bilder vom ESC in der St. Jakobshalle in Basel zu liefern. Doch der erste Blick täuscht. «Diese Aufnahme stammt von einer Probe und ist nicht live», präzisiert er. Das Backup könnte man bei einer Störung der Satellitenübertragung einspielen. Zumindest das Publikum zuhause auf den Sofas würde den Unterschied in einem ersten Moment nicht bemerken.
An diesem Beispiel zeigt sich: Beim grössten Musikwettbewerb der Welt wird nichts dem Zufall überlassen. Die Abläufe sind bis ins kleinste Detail durchdekliniert. Unzählige Reglemente, hunderte Seiten, definieren nicht nur die Abläufe, sondern auch, nach welchen Kriterien die Fachjury die musikalischen Darbietungen zu bewerten hat.
Ein Regelwerk, das Sascha Reist auswendig kennt. Als ein Techniker wissen will, wieso trotz Einblender keine Telefonnummer für das Voting angezeigt wird, ist er sogleich zur Stelle: «Das Voting der Schweiz fand am Dienstag statt. Wir dürfen nur in jenem Halbfinal voten, bei dem wir selbst auftreten, und dann im Finale wieder.»
Juryvoting nur mit Anwalt
Auch für das Schweizer Juryvoting ist der Produktionsleiter zuständig. «Die Jury kommt dafür zu uns an den Standort Leutschenbach und sieht sich die Generalprobe via Satellitensignal live an.»
Das Gremium, bestehend aus fünf externen Personen, die dem Musikbusiness mehr oder weniger nahestehen, darf sich währenddessen über die Darbietungen austauschen. «Sobald jedoch das Bewertungsverfahren läuft, muss jedes Jurymitglied individuell bewerten. Absprachen sind nicht erlaubt.» Ein Notar bezeuge zudem, dass die Stimmabgabe und ihre Dokumentation ordnungsgemäss ablaufen.
Auf alles gefasst
Sascha Reist arbeitet seit 2017 bei SRF. Hier leitet er vor allem Produktionen im Unterhaltungsbereich – den «Donnschtig-Jass» oder das «SRF 3 Showcase» zum Beispiel. Er ist sich deshalb einiges gewohnt, gerade auch, was unvorhergesehene Zwischenfälle angeht.
Das ist der grösste Musikwettbewerb der Welt! Das ist faszinierend und fordernd zugleich!
«Idealerweise habe ich, wenn ich alles richtig gemacht habe, bei Sendungsstart nichts mehr zu tun.» Spätestens dann sollten alle Buchungen für die Künstlerinnen und Künstler getätigt, die Crew disponiert, die Bewilligungen eingeholt und Abläufe besprochen sein. Aber nicht immer kommt es so, wie es sollte.
Lange Arbeitstage
Obwohl beim ESC die Planung einen hohen Detailliertheits- und Komplexitätsgrad erreicht und Abläufe stark ritualisiert sind, bleibt eine gewisse Anspannung da: «Das ist der grösste Musikwettbewerb der Welt! Das ist faszinierend und fordernd zugleich!» Die Tage und auch die Nächte sind in dieser Woche für ihn entsprechend lang. Vor Mitternacht kommt er nicht nach Hause. Dies ist für ihn jedoch kein Problem: «Das ist mein Job. Im Sommerhalbjahr während des ‹Donnschtig-Jass› kommt das immer wieder vor.»
Aber bei aller Gewohnheit: Der ESC sei «eine Riesenkiste» und kurz vor der Sendung komme dann doch etwas Nervosität auf, sagt Sascha. Das Adrenalin sei aber eine willkommene Begleiterscheinung, denn es helfe ihm, wach und aufmerksam zu bleiben. Am Ende lebe man als Produktionsleiter genau für diese spannungsvollen Live-Momente: «Produktionen zu organisieren, ist mehrheitlich ein Bürojob. Die Sendungen dann live mitzuerleben, macht die Faszination aus!»