Biotop West-Berlin
West-Berlin war ein Sonderfall der Geschichte – und eine Insel: Rundherum von der DDR umgeben, gehörte es aber faktisch zur Bundesrepublik Deutschland. Über Jahrzehnte hinweg wurde West-Berlin grosszügig von der BRD alimentiert (z.B. mit «Berlin-Zuschlägen» für Angestellte und Unternehmen), vor allem galten hier aber auch nicht alle Gesetze der BRD.
Ganz besonders wichtig: In West-Berlin gab es keine Wehrpflicht . Und so wurde es zum Anzugspunkt für die junge Männer aus München oder Flensburg, die nicht zur Armee wollten. Linke, Künstler und Spinner im besten Sinn . Hier war alles möglich – und das hat auch international ausgestrahlt: Auch David Bowie und Iggy Pop mischten mit in West-Berlin . Drei aus der Westberliner Mischpoke kennt man noch heute.
Schrott-Musik: Die Einstürzenden Neubauten
Der Name ist Programm: Denn die «Einstürzenden Neubauten» lotsten den Grenzbereich zwischen Geräusch und Musik aus . Enstanden ist die Band spontan: Sänger Blixa Bargeld hatte 1980 die Gelegenheit, in einem Westberliner Club zu spielen, und trommelte ein paar Kollegen zusammen. Ihr Einfluss aber war nachhaltig: Depeche Mode wurde stark von der Band beeinflusst, Perkussionist FM Einheit wurde später zu einer der wichtigsten Hörspielmacher. Auch das Schweizer Publikum zeigte sich wahrscheinlich beeindruckt, als die Neubauten bei Aeschbaer zu Gast waren – mit Playback!
Die Hohe Kunst der Ironie: Max Goldt
Kaum jemand schreibt lustiger Texte in der deutschen Sprache als Max Goldt. Nach dem Abitur – also vor der Wehrpflicht – zog er 1977 nach West-Berlin. Dort machte er sich zuerst als Musiker einen Namen, mit der Band «Foyer des Arts», ab 1989 wurde er dann mit seinen Kolumnen bei der Satirezeitschrift «Titanic» deutschlandweit bekannt. Ein besonderes Vergnügen ist es, wenn Goldt seine Texte selber liest , wie im Spasspartout:
«Geniale Dilletanten»: Frieder Butzmann und Thomas Kapielski
1981 gab es ein Festival im Berliner Tempodrom unter dem Namen «Geniale Dilletanten». Eine wilde Mischung aus Performance, Musik und bildender Kunst, unter dem Motto: Einfach machen. Da sind nicht nur spätere Techno-Pioniere wie Westbam oder Dr. Motte aufgetreten, sondern auch der Klangkünstler Frieder Butzmann. Der macht bis heute abgefahrene Grenzgänge zwischen Hörspiel und Musik – und immer mit Humor (wie z.B. eine Oper auf Klingonisch) ! Dieses Jahr auch für SRF, mit dem Hörspiel «Galaxis der Liebe» , wo er sich endlich der ganz grossen Fragen annimmt: Was ist das Leben? Und wie klingt es?
Sein partner in crime in all den Jahren: Der Künstler und Autor Thomas Kapielski. Beide zusammen haben für SRF eine Zeitreise unternommen in das West-Berlin der 80er Jahre: Durch Kneipen und besetzte Häuser, zu Konzerten und Performances. Und da taucht man so richtig ein in diese Ursuppe West-Berlin, wo Künstlererscheinungen wie die Einstürzenden Neubauten und Max Goldt überhaupt erst entstehen konnten: «Das also ist der Westen».