Staatssekretariat für Wirtschaft
Die Angestellten des Malereibetriebs Pfirter und Co. in Pratteln haben täglich mit viel Papierkram zu kämpfen. Allein dem Bundesamt für Statistik muss Mitinhaber Felix Pfirter Unmengen an Zahlen abliefern, zum Beispiel für Wertschöpfungsstatistik, Betriebszählung, Beschäftigungsstatistik oder Schweizerische Lohnstrukturstatistik. Kassensturz bittet Pfirter, aufzuschreiben, was Behörden von ihm alles an Unterlagen verlagen.
Die Liste beginnt harmlos mit Abrechnungen und Formularen für AHV, IV und Suva. Sie wird immer länger und führt von Mehrwertsteuerabrechnungen über Arbeitsbewilligungen zu Bewilligungen für Giftscheine, Parkiermöglichkeiten, Sonderabfällen und vielem mehr. "Besonders ärgerlich ist es, wenn man den Sinn nicht sieht", sagt Felix Pfirter. "Wenn man vorwärts machen will und stattdessen den Umweg über ein Amt gehen muss, damit der Amtsschimmel auch noch gefüttert wird, dann ärgert das schon."
Hohe volkswirtschaftliche Kosten
Das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco schätzt die volkswirtschaftliche Kosten der Bürokratie auf sieben Milliarden Franken. Das Seco hat viele Massnahmen ergriffen, um die Unternehmer zu entlasten. Doch davon spüren die KMUs nur wenig. Das weiss auch Peter Balastèr, Leiter Wachstum und Wettbewerbspolitik beim Seco: "Die KMU befinden sich in der unangenehmen Situation, dass immer mehr Märkte geöffnet werden. Der Wettbewerbsdruck wird intensiver, und auf der anderen Seite haben sie immer mehr gewerbepolizeiliche Auflagen und müssen deshalb auch die Bürokratie bewältigen", sagt Balastèr. Immer mehr Bürokratie, weil es immer mehr Gesetze gibt. Das heutige Bundesrecht umfasst 55'000 Seiten Gesetzestexte - und es werden immer mehr. Allein im letzten Jahr produzierte der Bund über 5000 Seiten neue Gesetze und Verordnungen. Doch auch Kantone und Gemeinden erlassen Vorschriften. Wer ist schuld an der Gesetzesflut? "Ob Gesetze notwendig sind, das ist ein politischer Entscheid", sagt Luzius Mader, Vizedirektor des Bundesamts für Justiz. "Wenn die Politik ein Gesetz will, dann ist es Aufgabe der Verwaltung, ein qualitativ gutes Gesetz zu erarbeiten."
Bäuerin Monika Moor aus dem Zürcherischen Steinmaur wollte auf ihrem Hof eine kleine Wochenend-Beiz für Wanderer, Reiter und Besucher eröffnen. Das Projekt scheiterte am WC: "Wir haben hier nur ein WC, wo Frauen und Männer hätten hingehen können", erzählt Monika Moor. Doch das Gesetz schreibt vor: Die Toiletten müssen für Männlein und Weiblein strikt getrennt sein. Die Bäuerin hätte sehr wohl neue WCs gebaut, doch vorher wollte sie ausprobieren, ob ihre Geschäftsidee überhaupt funktioniert. Das war ihr nicht vergönnt. Sehr häufig hören Beamte den Vorwurf, sie würden unbürokratische Lösungen verhindern und stattdessen engstirnig nach den Buchstaben des Gesetzes entscheiden. Der Vizedirektor des Bundesamts für Justiz nimmt die Verwaltung in Schutz: "Die Verwaltung möchte sehr häufig nach Ermessen entscheiden können, um der Besonderheit Rechnung zu tragen. Aber die Politiker misstrauen der Verwaltung und schaffen darum viel präzisere Gesetze, damit die Verwaltung keinen Ermessensspielraum hat", sagt Luzius Mader.
Neue Ideen von Politikern
Schuld sind also die Politiker. Der Berner FDP-Nationalrat Pierre Triponez kämpft als Direktor des Gewerbeverbands gegen die überbordende Bürokratie, an der er als Politiker nicht ganz unschuldig ist: "Es ist durchaus so, dass wir alle ein bisschen schuld sind", sagt Triponez. "Alle: Verwaltung, Kanton, Gemeindepolitiker wollen sich profilieren und gebären neue Ideen. Und gibt es eine Gesetzeslücke, die nicht geregelt ist, dann gibt es sicher irgend ein Parlamentarier, der einen Vorstoss macht, um diese zu schliessen."
Die Gewerbler im Kanton Aargau jedenfalls wehren sich gegen die Formularflut: Gestern hat der Aargauische Gewerbeverband eine KMU-Entlastungsinitiative eingereicht. Danach sollen neue Erlasse im Kanton Aargau künftig vor ihrer Einführung auf ihre Wirtschaftsverträglichkeit geprüft werden.