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Arbeit Chef bittet Büezer wegen Eurotief zur Kasse

Ein Novum in der Schweiz: Die Verpackungsfirma Mopac koppelt die Löhne an den Eurokurs. Das Unternehmen im Emmental stellt seine Mitarbeitenden vor die Wahl. Entweder erhalten sie zehn Prozent weniger Lohn oder die Kündigung.

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Franziska Hulliger versteht die Welt nicht mehr. Seit 1999 arbeitet sie als Packerin bei der Firma Mopac im emmentalischen Wasen. Letzten Monat verkündete der Chef der ganzen Belegschaft, er müsse die Löhne kürzen - wegen des tiefen Euros. Hulliger verdient 18 Franken pro Stunde, neu wären es noch etwas mehr als 16 Franken. Brutto.

Mitarbeiter zahlen für Euroschwäche

Als Schweizer Marktführerin stellt Mopac Verpackungsmaterial unter anderem für Migros, Coop und Denner her. 55 Prozent ihrer Ware verkauft die Firma ins Ausland. Wie viele Exportunternehmen spürt sie die Folgen des starken Frankens. Der Ertrag der Exporte verringert sich durch den tiefen Euro. Jetzt sollen die Angestellten die Zeche bezahlen. Rainer Füchslin, Geschäftsführer der Mopac und Delegierter des Verwaltungsrats, will die Löhne seiner rund 260 Mitarbeitenden um 10 Prozent kürzen. Diesen Entscheid teilte er per Änderungskündigung Ende Februar mit.

Dabei lässt Füchslin seinen Angestellten keinen grossen Spielraum: Entweder sie stimmen dem tieferen Salär zu oder sie verlieren ihre Arbeit. Im neuen Vertrag ist der Lohn zudem variabel, Füchslin will ihn dem Währungskurs anpassen. Je tiefer der Euro, desto tiefer fallen die Löhne aus. Beim jetzigen Stand bedeutet das für die Arbeiterinnen und Arbeiter der Mopac: Sie erhalten 10 Prozent weniger Lohn.

Das trifft die Angestellten hart. Denn viele verdienen bereits heute nur knapp über 3000 Franken. «Viele von uns haben Existenzängste», sagt Franziska Hulliger. Sie weiss, so schnell finden die Mitarbeitenden in der Umgebung keine andere Stelle. Die Mopac, eingebettet in den Hügelketten des Emmentals, ist in dieser Region der grösste Arbeitgeber.

Hungerlöhne bereits heute

Die Gewerkschaft ist alarmiert. Die Unia empfiehlt den Mitarbeitenden, nicht auf Füchslins Forderungen einzugehen. «Es kann nicht sein, dass ein Unternehmer das Risiko und den Währungskurs auf die Mitarbeitenden abwälzt», sagt Stefan Wüthrich, zuständig für die Unia-Sektion Oberaargau-Emmental.

Die Gewerkschaft ist überzeugt, dass Füchslin andere Massnahmen ergreifen könnte, als die Löhne zu stutzen. Schon 2004 mussten Arbeiterinnen und Arbeiter der Mopac drastische Lohnkürzungen hinnehmen. «Die meisten verdienen bereits heute nur zwischen 3100 und 3400 Franken und müssen bei einer weiteren Kürzung um ihre Existenz bangen», sagt Wüthrich.

Chef droht mit Schliessung

Der Mopac-Chef selbst lässt sich indes nicht in die Karten blicken. Bilanzen oder Jahresabschlüsse legt Füchslin keine vor, sagt aber, sein Unternehmen schreibe schwarze Zahlen. «Wir haben genügend Arbeit. Unsere Maschinen laufen 24 Stunden während 7 Tagen.» Jetzt müsse er aber reagieren. Wegen dem tiefen Euro sei der Ertrag im Export massiv gesunken. «Die Lohnkürzung ist für mich die einzige Möglichkeit, die Arbeitsplätze zu erhalten.» Andernfalls müsse er die Fabrik dichtmachen. Wer finanzielle Probleme hat, müsse aufs Sozialamt.

Franziska Hulliger fand letzte Woche in ihrem Briefkasten die Kündigung. Aus wirtschaftlichen Gründen, wie die Mopac ihr schreibt. Vier anderen Mitarbeitenden hat die Firma ebenfalls gekündigt. Packerin Hulliger will nicht länger schweigen: «Die Menschen sollen erfahren, welcher Druck in der Arbeitswelt herrscht.»

Lohnschere klafft auseinander

Vielverdienern geht es immer besser: Die Toplöhne nehmen in der Schweiz überproportional zu. So haben sich die Löhne in der obersten Lohnklasse innerhalb zehn Jahren um 44 Prozent erhöht. Wer also 1998 16‘462 Franken verdient hatte, erhielt zehn Jahre später bereits 23‘675 Franken. Zwar sind die Löhne gemäss Zahlen des Bundesamtes für Statistik auf allen Niveaus angestiegen – doch nicht überall gleich. Im unteren Lohnsegment beträgt die Zunahme nur 13 Prozent.

Josef Zweimüller, Professor für Ökonomie und Arbeitsmarkt an der Universität Zürich, kommentiert den Anstieg bei den Toplöhnen in der Schweiz als «ausserordentlich stark». Vielverdiener hätten enorm vom Wirtschaftswachstum in den letzten zehn Jahren profitiert. Zudem hätten auch die Managergehälter stark zugenommen, frei nach dem Motto «the winner takes it all». Diesen Trend beobachtet Zweimüller auch im angelsächsischen Raum. Anders als in den USA, wachsen in der Schweiz hingegen auch die Löhne des Mittelstandes - wenn auch deutlich weniger stark als im unteren oder oberen Segment.

Steigen die höchsten Löhne weiterhin an, verteilt sich das Vermögen zunehmend ungleich, prognostiziert Zweimüller. «Das widerspricht den Zielen einer sozialen Marktwirtschaft», sagt der Professor.

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