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Arbeit Schweizer Bauern zahlen Erdbeer-Pflückern Hungerlöhne

«Kassensturz» deckt auf: Erntehelfer schuften für wenig Geld und bis zu 66 Stunden pro Woche auf Schweizer Feldern. Besonders stossend: Das ist absolut legal. «Kassensturz» fragt nach, warum in der Landwirtschaft menschenunwürdige Arbeitsbedingungen gelten.

«Ich bekomme 13 Franken pro Stunde bar auf die Hand», erzählt eine Erdbeerpflückerin in der Sendung «Kassensturz». Die Ausländerin meldete sich auf ein Inserat für die Erdbeer-Ernte auf einem Bauernhof im Kanton Aargau. Einen Arbeitsvertrag erhielt sie nicht.

Seit Ende Mai musste sie fast jeden Tag auf dem Feld arbeiten. «Ich arbeitete von Montag bis Sonntag, sieben Tage die Woche. Bis jetzt hatte ich genau an einem einzigen Sonntag frei, weil uns die Bäuerin sagte es regne zu stark», sagt sie.

Rund 30‘000 Erntehelfer arbeiten in der Landwirtschaft. Fast nirgends sind die Arbeitsbedingungen und das Lohnniveau so schlecht, wie in dieser Branche. Zum Vergleich: Der Mindestlohn im Gesamtarbeitsvertrag der Reinigungsbranche liegt bei rund 18.50 Franken pro Stunde.

Davon sind Erntehelfer, die sich stundenlang auf den Feldern bücken müssen, weit entfernt. Das zeigen Recherchen von «Kassensturz».

Grosse kantonale Unterschiede

Für Arbeitskräfte in der Landwirtschaft gelten kantonale Normalarbeitsverträge NAV. Diese erlauben Arbeitszeiten von bis zu 11 Stunden täglich an 6 Tagen die Woche. Die Richtlöhne gibt der Schweizer Bauernverband vor: Für saisonale Arbeitskräfte 3200 Franken pro Monat. «Kassensturz» berechnet die Stundenlöhne.

In jedem Kanton gelten unterschiedliche Höchstarbeitszeiten und Stundenlöhne für Erntehelfer. Im Kanton Genf erhalten sie einen Stundenlohn, von dem sich bescheiden leben lässt: 17.50 Franken. Dies, weil der Kanton Genf die maximale Arbeitszeit auf 45 Stunden pro Woche festsetzt.

Die miesesten Arbeitsbedingungen herrschen im Kanton Glarus: Hier lassen die Bauern ihre Erntehelfer in den Sommermonaten 66 Stunden pro Woche schuften. Für minimale 11.20 Franken pro Stunde.

Schweizer Bauerverband profitiert

«Ein solcher Lohn ist menschenunwürdig für unser Land, niemand kann hier davon leben», sagt Mara Simonetta, Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft landwirtschaftlicher Angestellter ABLA. Mara Simonetta ist selber Bäuerin und beschäftigt saisonale Arbeitskräfte. Ihren ungelernten Hilfskräften bezahlt sie einen Stundenlohn von mindestens 18 Franken.

Sie ärgert sich über die tiefen Löhne für Erntehelfer in der Landwirtschaft. «Es gibt schon Schlitzohren bei den Bauern.» Bei ihr melden sich pro Woche ein bis zwei Erntehelfer, die über miese Arbeitsbedingungen klagen. Oftmals müssten ausländische Arbeitskräfte zu Dumpinglöhnen arbeiten.

Dabei wären etwas gerechtere Löhne für alle Erntehelfer in der Schweiz schon heute vorgesehen. Seit Anfang 2015 existiert ein neuer Muster-Norm-Arbeitsvertrag mit einheitlichen Richtlinien, gültig für die ganze Schweiz. Doch die Bauern verzögern die Einführung in den Kantonen – und profitieren so eine weitere Saison von den billigen Erntehelfern.

Bauernverbands-Präsident Markus Ritter betont im Interview mit «Kassensturz», dass sein Verband Dumpinglöhne nicht akzeptiere: «Wir verlangen, dass Löhne gemäss den kantonalen Normalarbeitsverträgen bezahlt werden, dass die Sozialversicherungen korrekt abgerechnet werden, und wir setzen uns ein für eine Verbesserung des Schwarzarbeitsgesetzes und für Kontrollen.» Höhere Löhne zu bezahlen, sei in der Landwirtschaftsbranche jedoch schwierig.

Doch er verspricht, jetzt die Einführung der einheitlichen Richtlinien voranzutreiben: «Wir werden dies jetzt mit den kantonalen Bauernorganisationen in die Hand nehmen, dass wir bis im nächsten Frühling, wenn die Saison kommt, eine Lösung haben.»

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