Jeder ist ihnen schon begegnet: Den jungen Leuten, die auf der Strasse Spenden sammeln für Hilfswerke wie Helvetas, Vier Pfoten oder Amnesty International. Die Spendensammler sind keine Mitglieder dieser Hilfswerke, sie sind von der Fundraising-Firma Corris angestellt.
«Gutes Geld für eine gute Sache», mit diesem Slogan sucht Corris jedes Jahr 800 junge Spendensammler. Versprochen wird ein Monatslohn von durchschnittlich 4500 Franken.
Der Arbeitsdruck ist gross
In Kassensturz erzählen Ex-Corris-Mitarbeiter erstmals von den Arbeitsbedingungen auf der Strasse. «Erwartet wird, dass du jeden Tag fünf Spender findest», sagt Nadja S. Sie war 1.5 Jahre lang für Corris unterwegs. Es sei ein harter Job: Jeden Tag fünf Spender zu finden, sei nicht leicht, dafür müsse man mehrere Hundert Passanten ansprechen.
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Der Druck sei gross, ergänzt Marco G.: «Wenn du deine 5 Spender nicht hast, lassen Dich die Teamleiter nicht in die Pause oder du musst am Abend länger arbeiten.» Wer sich wehre, sei schnell draussen. Es würde immer wieder damit gedroht, dass man den Job verliere. «Jeder weiss – 2 Tage Kündigungsfrist.»
Tägliche Überstunden seien die Regel, so Raphael K.: «Vertraglich abgemacht sind sieben Stunden Arbeitszeit plus zwei Stunden Weg. Tatsächlich treffen wir uns jeweils vor 9 Uhr in Zürich und kommen oft abends erst nach 21 Uhr nach Zürich zurück.» Pikant: Die Überstunden werden nicht bezahlt, so stehts im Corris-Arbeitsvertrag.
Kassensturz spricht mit weiteren Ex-Angestellten von Corris. Alle bestätigen: Unbezahlte Überstunden gibts praktisch täglich. Doch nicht genug: Wer die ganze Woche für Corris arbeite, der müsse in einer Corris-WG wohnen. Das heisst, die Person steht 24 Stunden unter der Kontrolle des Teamleiters.
Täglich Überstunden ist illegal
Arbeitsrechts-Experte Thomas Geiser schaut sich für Kassensturz die Corris-Arbeitsverträge an. Tägliche Überstunden, die nicht bezahlt sind, das sei illegal. «Wenn Mehrleistung täglich anfällt, sind es keine Überstunden, und folglich ist es nicht legal, die nicht zu bezahlen.»
Ein weiterer problematischer Punkt: Die Spendensammler haben auf drei Monate befristete Arbeitsverträge. Und zwar, auch wenn sie länger bei Corris arbeiten. Das heisst: Einen Monat Probezeit mit einer Kündigungsfrist von zwei Tagen. Und: Bei Krankheit gibt’s keinen Lohn.
Das gehe rechtlich nicht, so Arbeitsrechtsprofessor Thomas Geiser: «Diese Befristung auf drei Monate gibt es wohl nur deshalb, damit Corris bei Krankheit keinen Lohn bezahlen muss und keine Pensionskassenbeiträge.» Bei Arbeitsverhältnissen die länger als drei Monate dauern, seien diese befristeten Verträge, die immer wieder verlängert würden, eine unzulässige Gesetzesumgehung.
Rund 20 Hilfswerke lassen ihre Spenden über die Firma Corris sammeln. Kassensturz weiss, jedes Hilfswerk zahlt Corris pro Mitarbeiter und Tag 850 Franken.
13.60 Franken Lohn pro Stunde ist legal
Ein Blick in den Arbeitsvertrag zeigt: Die Spendensammler auf der Strasse bekommen als fixen Basislohn pro Tag 122.75 Franken – das sind 13.60 Franken pro Stunde. Wer 20 Tage durchhält, bekommt einen Treuebonus von 850 Franken.
Dazu kommt die abgestufte Provision: Die Skala beginnt jeden Tag neu bei 30 Franken für Spendenzusagen ab etwa 480 Franken. Ausbezahlt wird diese Provision aber erst rund fünf Monate später, wenn die Spender tatsächlich gezahlt haben. Alle Ex-Corris-Mitarbeiter sagen: Auf den versprochenen Lohn von 4500 Franken kommen nur die Wenigsten.
Arbeitsrechtsexperte Thomas Geiser sagt dazu: «Ein Lohn von 13.60 Franken pro Stunde ist ein sehr tiefer Lohn. Da es in der Schweiz aber keine Minimallöhne gibt, ist das legal.»
Andere bieten faire Bedingungen
Dass es auch anders geht, zeigt Greenpeace. Vor vier Jahren hat die Organisation ihre Zusammenarbeit mit Corris gekündigt. Nun sammeln Greenpeace-Mitarbeiter Spenden mit unbefristeten Verträgen, kürzeren Arbeitszeiten und einer fairen Überstundenregelung. «Für uns lohnt es sich: Greenpeace-Mitarbeiter können glaubwürdiger auf die Passanten zugehen und auch finanziell rechnet es sich», sagt Ruth Naef von Greenpeace.
Das Hilfswerk Helvetas arbeitet mit Corris zusammen. Sprecher Stefan Stolle sagt, Helvetas sei in ständigem Kontakt mit den Corris-Mitarbeitern, die für Helvetas Spenden sammeln. Die Vorwürfe höre er zum ersten Mal.
«Es ist selbstverständlich, dass wir uns auch in der Schweiz für faire Löhne und anständige Arbeitsbedingungen einsetzen und das erwarten wir auch von unseren Partnern wie zum Beispiel der Firma Corris.» Helvetas werde sind in den nächsten Tagen mit Corris zusammensetzen und die Vorwürfe prüfen.
Das gleiche schreiben Kassensturz auch WWF, Amnesty International und Vier Pfoten.
Das sagt Corris dazu
Unfaire Arbeitsverträge, unbezahlte Überstunden und tiefe Löhne. Corris CEO Baldwin Bakker nimmt zu den Vorwürfen im Kassensturz-Studio Stellung.
Vorab schreibt er Kassensturz zu den einzelnen Vorwürfen Folgendes:
- Befristete Arbeitsverträge : «Weil die Erfahrung zeigt, dass die Einsatzdauer pro Jahr auf Wunsch der Mitarbeitenden unter drei Monaten liegt, wurden die neuen Rahmenvereinbarungen auf die Dauer von 3 Monaten festgelegt. Wenn die neuen Rahmenbedingungen verlängert werden, werden Vorzeiten auf Kündigungsfristen und Krankentaggeldanspruch natürlich angerechnet. Corris umgeht keine ihrer Pflichten und bezahlt den gesetzlich vorgesehenen Krankenlohn, wenn ein Anspruch entsteht.»
- Unbezahlte Überstunden : «Ende 2012 wurde erstmals ein Vorwurf bezüglich Überstunden an uns herangetragen. Wir haben sofort reagiert: Seit Anfang 2013 bestehen wir auf dem detaillierten Ausfüllen des Arbeitszeitprotokoll, um die genauen Nettoarbeitszeiten zu erfassen. Sollte es wider Erwarten zu Überschreitungen der Nettoarbeitszeiten kommen, werden wir die Überzeiten selbstverständlich kompensieren.»
- Tiefe Löhne : «Corris zahlt faire Löhne. Ein Drittel der rekrutierten Dialoger verlässt uns schon während der Einführung. In dieser Zeit erhalten Mitarbeiter 150 Franken pro Tag. (…) Zwei Drittel bleiben durchschnittlich 21 Tage. Inklusive der Bonis verdienen sie im Durchschnitt 192 Franken am Tag (4235 Franken im Monat, mit Spesen 4565 Franken pro Monat).»