Tausende Handwerksbetriebe und KMUs zahlen die Pensionskassenbeiträge ihrer Angestellten einer Versicherung – auch die Firma Top Events in Bern. Der Betrieb führt keine eigene Pensionskasse, sondern versicherte seine 18 Mitarbeiter noch bis vor kurzem voll bei der Axa-Winterthur. Die kleine Firma vermietet Festzelte, Geschirr und Mobiliar für jeden Anlass. Die Vorteile einer Vollversicherung: Mit der Altersvorsorge seiner Angestellten musste sich der Betrieb nicht herumschlagen. Zudem hatte er die Sicherheit, dass er auch in wirtschaftlich schweren Zeiten keine Sanierungsbeiträge leisten muss.
Zuviel einkassierte Prämien
Doch letztes Jahr ging der Firmenchef Philipp Ginsig über die Bücher. Er wollte wissen, ob er bei der Pensionskasse sparen könne und holte Offerten ein. Das hätte er schon früher tun sollen: Denn von neun Offerten, die Top Events einholte, verlangte Axa-Winterthur die höchsten Prämien. Geld, das den Arbeitern in ihrer Lohntüte fehlte und dem Betrieb höhere Kosten verursachte. Philipp Ginsing: «Ich habe festgestellt, dass die Unterschiede besonders bei den Risikoprämien und den Verwaltungskosten gross waren.»
Risikoprämien sind ein grosses Geschäft. Zahlen der Aufsichtsbehörde Finma zeigen: Swiss Life kassierte 2008 von den Betrieben 773 Millionen Franken. Rund die Hälfte davon bezahlten die Arbeitnehmer, die andere Hälfte der Arbeitgeber. Für Invalidität und Tod musste die Versicherung aber nur 422 Millionen Franken ausgeben. Swiss Life kassierte 45 Prozent mehr Prämien als nötig. Ebenso Axa-Winterthur, mit 600'000 Versicherten der zweite grosse Anbieter. Sie nahm 788 Millionen Franken Risikoprämien ein, brauchte aber nur 247 Millionen Franken. Zuviel einkassierte Prämien: 69 Prozent.
Mangelhafte Transparenz
Axa-Winterthur schreibt: «Risikoprämien werden anhand von langjährigen Erfahrungswerten festgelegt. Die Zahl der Menschen einer Pensionskasse, die während des Jahres invalid werden oder sterben, kann jedoch stark davon abweichen. Die Axa Leben AG hat 2008 im Risikoprozess einen recht hohen Überschuss erzielt. Entstanden ist er durch eine starke Abnahme der Versicherungsfälle. Dieser Überschuss kommt zum allergrössten Teil den Versicherten zugute.»
Alle elf Versicherungen im Pensionskassengeschäft nahmen 2,95 Milliarden Franken Risikoprämien ein, gaben aber nur 1,28 Milliarden für Invalidität und Todesfälle aus. Zuviel einkassierte Prämien: 57 Prozent. Das sind 1000 Franken pro Arbeitnehmer – in einem einzigen Jahr. Dieses Geld fehlt den Betrieben und den Angestellten in der Lohntüte.
Der Pensionskassenexperte Werner Hug kritisiert seit Jahren die mangelnde Transparenz der Versicherungen. Die grossen Konzerne veröffentlichen über ihr Pensionskassengeschäft keine Bilanzen und Erfolgsrechnungen. So konnten sie unbemerkt zu hohe Risikoprämien kassieren. Hug: «Früher haben die Versicherungen die hohen Risikoprämien gebraucht, weil sie höhere Invaliditätskosten hatten.» Doch in den letzten Jahren seien die Kosten gesunken. «Die Versicherungen hätten die Prämien noch stärken senken sollen», sagt Hug.
Fehlender Wettbewerb
Das Problem: Der Wettbewerb spielt kaum. Denn ein Wechsel ist für die KMUs oft zu kompliziert. Die Versicherungen würden deshalb soviel verlangen, wie sie kriegen können, sagt der Fachmann. «So ist es halt mit der Marktwirtschaft.» Nur bei Transparenz kämen die Preise unter Druck, sagt Hug. Top Events hat die Pensionskasse gewechselt. Viele Betriebe scheuen sich aber, Offerten bei anderen Pensionskassen einzuholen. Der fehlende Wettbewerb macht sich für die Versicherungen bezahlt.
So schöpfen die Versicherungen ab: Ihre Gesamteinnahmen setzen sich zusammen aus den Kapitalerträgen, die sie mit dem Altersguthaben der Arbeitnehmer erwirtschaften. Hinzu kommen die Risikoprämien für Todesfall und Invalidität, welche Arbeitgeber und Arbeitnehmer bezahlen. Zudem kassieren sie Umtriebsentschädigungen für ihren Verwaltungsaufwand.
Die Versicherungen profitieren von möglichst hohen Risikoprämien, Je mehr sie kassieren, desto grösser werden die Gesamteinnahmen. Und das rentiert: Denn die Versicherungen dürfen von den Gesamteinnahmen zehn Prozent einstreichen – einfach so. Das ist zwar höchst umstritten, aber legal. In nur vier Jahren haben die Versicherungen so über eine Milliarde Franken aus der Pensionskasse abgeschöpft. Trotz Finanzkrise im 2008.
Rechsteiner: «ein Skandal»
Die überhöhten Risikoprämien seien ein Skandal, sagt SP-Nationalrat Rudolf Rechsteiner. Er hätte seinen Augen nicht getraut, als er die Zahlen zum ersten Mal gesehen habe. «Prämien, die bis dreimal so hoch sind als nötig – und das in einer obligatorischen Sozialversicherung. Da merke ich einfach, dass das Amt, das aufpassen müsste, nicht aufpasst», sagt Rechsteiner. Versicherungen würden sehr viel Geld kassieren. Rechsteiner: «Und alle schweigen, niemand redet darüber.»
Die Firma Top Events tat das einzige Richtige für ihre Angestellten: Sie holte Offerten ein und scheute den Aufwand nicht, zu einer anderen Pensionskasse zu wechseln. Nur wenn der Wettbewerb spielt, kommen die Versicherungen unter Druck und müssen die Risikoprämien senken. Davon profitieren alle: Betriebe und die Arbeitnehmer.