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«Espresso Retro» Der Bio-Streit in den 70ern: «Man müsste Muttermilch verbieten»

Seit den 1970er-Jahren etabliert sich der Bio-Landbau als Alternative zur konventionellen Landwirtschaft. Doch um den Begriff «Bio» wurde noch lange und heftig gestritten. Mittendrin: Das Konsumentenmagazin «Index 5 vor 12» vom Schweizer Radio. «Espresso Retro» schaut zurück.

Es begann harmlos mit einer Umfrage an einem Gemüsemarkt. Index-Redaktorin Ellinor von Kauffungen befragte Passanten, was für sie «Bio» sei. Diese antworteten, dass es kein Gift im Gemüse habe und keine Gülle und keinen Kunstdünger.

Dem widersprach ein Agronom der staatlichen Versuchsanstalt Reckenholz: «Dass etwas wächst ist ja bereits biologisch, ein nicht-biologischer Landbau ist demzufolge gar nicht möglich.» Diese Logik war damals allgemeingültig für die von der konventionellen Landwirtschaft geprägten Bundesbehörden.

«Espresso retro»

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Biopioniere wie Hugo Brandenberger von der Saftmanufaktur Biotta in Tägerwilen TG wehrten sich heftig. Und Brandenberger machte einen gewagten Vergleich zwischen Menschenmutter und Mutterkuh: «Die Schweizerische Muttermilch enthält vierzig Mal mehr Giftstoffe als Kuhmilch. Eigentlich müsste man also Muttermilch schon lange verbieten.»

Kampf um Bio-Definition und Gift

Der Basler Präventivmediziner Günther Ritzel widerlegte die These des Thurgauer Gemüsesaftherstellers Brandenberger. Aus seiner Sicht sei das eine aus dem Zusammenhang gerissene Aussage: «Eine Menschenmutter wird über zwanzig Jahre alt, bis sie Mutter wird. Eine Kuh aber, ist viel jünger, wenn sie erstmals kalbt. Also ist es selbstverständlich, dass im Fett der Muttermilch mehr Pestizide gespeichert sind, als in der Kuhmilch.» Rauchen und Trinken seien viel gefährlicher als das «bisschen Giftstoffe in den Landwirtschaftsböden», kam Mediziner Ritzel zum Schluss.

Bio vs. konventionell

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Ein Bio-Verbot

Die Index-Redaktion nahm ungewöhnlich deutlich Stellung, unterstützte die Bio-Kritiker und forderte gar ein schweizweites Verbot für den Begriff »Biologisch».

Die Macherinnen der damaligen Konsumentensendung argumentierten aus Sicht der Verbraucher: Solange es keine Methode gebe, biologische Produkte von herkömmlichen zu unterscheiden, sei es besser die Verbraucher zu schützen. Es werde sonst zuviel Unfug getrieben, indem Scharlatane einfach teurere Preise verlangten für ihre Produkte.

Die Reaktion der aufstrebenden Bio-Szene war heftig. Innert einer Woche trafen rund 150 Briefe auf der Index-Redaktion ein. Man warf ihr vor, sich von Kunstdüngerfabrikanten und Chemiekonzernen bestechen zu lassen. Index versuchte die Wogen zu glätten, und erklärte in der Folgesendung, dass man nichts gegen die biologische Bewegung habe. Dass aber ein Gesetz fehle, dass klar definiere, was Bio sei und was nicht. Eine Definition, die erst Jahre später gefunden wurde.

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