Regelmässig berichten Medien über Missstände in Kinderkrippen. Die Kritik reicht von mangelhafter Betreuung bis zu Misshandlung. In manchen Fällen dauerte es Monate oder gar Jahre bis die Behörden einschritten.
Auch bei «Kassensturz» melden sich immer wieder Mitarbeitende von Kinderkrippen. So auch ehemalige Betreuende einer Kinderkrippe im Kanton Aargau. Sie schildern, wie neun bis zwölf Babys in einer Gruppe betreut wurden.
Weil vom Personal auch noch jemand kochen musste, waren sie ständig überfordert. Dementsprechend viel und oft weinten auch die Babys, die sie dann nicht richtig trösten konnten.
Aufgrund der Meldung der ehemaligen Angestellten, kontrollierten die Behörden die Kinderkrippe. Erstmals seit der Erteilung der Betriebsbewilligung vor rund zwei Jahren. Nun wird die Kinderkrippe die Anzahl der Säuglinge auf sechs reduzieren sowie mehr Personal einstellen.
Zu wenig qualifiziertes Personal
Für Krippen-Experte und Pädagoge Jeremy Hellmann vom Marie Meierhofer Institut für das Kind in Zürich, ist das kein Zufall: «Der starke Ausbau in den letzten 15 Jahren mündet auch in Personalengpässe. Krippen haben nicht genügend Mitarbeitende, die sich wirklich auf die Kinder einlassen können.»
Über 35‘000 neue Krippenplätze wurden in den letzten neun Jahren geschaffen, rund 85‘000 Krippenplätze bestehen zurzeit. Doch der Bedarf ist noch längst nicht gedeckt.
Altes Gesetz aus dem Jahre 1977
Der Personalmangel ist nur ein Teil des Problems. Erschwerend kommt hinzu: Die Schweiz kennt keine einheitlichen Richtlinien für Kinderkrippen.
Auf nationaler Ebene gilt noch immer nur die Verordnung über die Aufnahme von Kindern zu Pflege und zur Adoption aus dem Jahr 1977. Darin steht lediglich: es braucht eine behördliche Bewilligung, fachliche Eignung des Personals, und eine Kontrolle wenigstens alle zwei Jahre.
Immerhin: Ein Grossteil der Kantone und einzelne Gemeinden haben weiterführende Qualitätsrichtlinien für Kinderkrippen. Keine genaueren Bestimmungen haben jedoch: Die Kantone Aargau, Basel-Landschaft, Schaffhausen, Appenzell Inner- und Ausserrhoden sowie Uri.
Umfrage: Grosse Unterschiede bei Aufsicht
Einem Umfrage der Sendung «Kassensturz» bei den Deutschschweizer Kantonen und deren grössten Gemeinden zeigt: Die Standards und die Kontrollen sind sehr unterschiedlich.
Wie oft beaufsichtigen sie die Krippen? Wie handhaben sie die Kontrollen? Das wollte «Kassensturz» wissen:
- Die Kantone Bern, Basel-Stadt, Nid- und Obwalden, Luzern sowie Uri und das Wallis kontrollieren einmal jährlich.
- Alle zwei Jahre kontrollieren: Fribourg, Zürich, Schaffhausen, Thurgau, St.Gallen, Graubünden, Zug, Schwyz, Solothurn, Basel-Landschaft
- Alle drei Jahre kontrolliert der Kanton Glarus und unregelmässig Appenzell Innerhoden. Die Stadt Zürich ist aufgrund der vielen neuen Krippen nicht in der Lage, die Betriebe mehr als alle drei bis vier Jahre anzuschauen.
- Im Kanton Aargau führen viele Gemeinden nach dem Erteilen der Bewilligung gar keine Kontrollen mehr durch.
Neues Qualitätslabel in Arbeit
Fast überall gilt, die Kontrollen sind Gemeindesache: Sie sind in der Regel angemeldet und betreffen vorwiegend die Strukturen. Talin Stoffel, die Geschäftsführerin des Verbandes Kindertagesstätten Schweiz kritisiert, dass es keine einheitliche Regelungen gibt: «Ein grosses Problem ist, dass die meisten Stellen unterdotiert sind und zu wenige Ressourcen haben, um diese Aufsicht wirklich wahrzunehmen.»
Mehrere Revisionsversuche des Gesetzes aus dem Jahre 1977 sind im Parlament gescheitert. Der Verband Kindertagesstätten Schweiz erarbeitet zurzeit Richtlinien für ein Qualitätslabel, das aber frühestens nächstes Jahr lanciert wird.