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Familie und Freizeit TV-Hellseher: Teurer Esoterik-Mist

Die selbsternannten Hellseher bei Shiva TV kommen harmlos daher. Doch in Wirklichkeit agieren hier Selbstdarsteller ohne jegliche seriöse Ausbildung – ausgerechnet im heiklen Bereich der Lebenshilfe. Das ist gefährlich.

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Mike Shivas TV-Show kommt freundlich daher. Shiva zeigt sich als Gutmensch. Er verschickt den Zuschauern immer wieder «ganz viel Liebe». Auch seine 45 TV-Berater nehmen sich für die Zuschauer viel Zeit. Das ist ihr Job. Denn die TV-Hellseher verdienen ihr Geld dank den Telefongesprächen: Bei Shiva TV kostet die Zukunft 4.50 Franken pro Minute.

Einsame und Ratsuchende

Die Werbesendung von Shiva TV läuft auf fünf Sendern. Nur die wenigsten Anrufer kommen direkt zur Sendung durch. Die meisten landen in einem Callcenter bei Dutzenden Telefonisten.

Auf den Lebensberatungs-Sendungen bleiben vor allem einsame und ratsuchende Menschen hängen. Und das macht die Sache alles andere als harmlos. Zum Beispiel TV-Hellseher Saint. Saint berät eine Frau. Sie steckt mitten in einem Gerichtsprozess. Es geht um eine IV-Rente. Saint kennt die Fakten nicht. Trotzdem rät er ihr, den Anwalt zu wechseln: «Da mag ich dir wirklich ans Herz legen, zu schauen, dass du einen anderen, einen besseren Anwalt bekommst.»

«Durch nichts qualifiziert»

Georg Otto Schmid, Theologe und Esoterik-Spezialist, warnt: «Bei Wahrsagern wie dem Saint ist die Chance gross, dass man falsche Entscheidungen trifft. Er schaut in seine Karten und meint, was er sieht, müsse er eins zu eins weitergeben.» Je unerfahrener ein Wahrsager ist, desto gefährlicher sei er.

Shiva und seine Berater zeigen eine schier unglaubliche Unverfrorenheit. Sie kümmern sich kaum um die Konsequenzen ihrer Ratschläge. Sie leben in ihrer eigenen, kleinen Welt, die wenig mit der Wirklichkeit zu tun hat, kritisiert der Sekten-Experte und «Tages-Anzeiger»-Redaktor Hugo Stamm: «Die Beraterinnen und Berater sind durch nichts qualifiziert. Sie haben den Glauben, übersinnliche, mystische Fähigkeiten zu besitzen. Und damit massen sie sich etwas an, das mit Beratung nichts zu tun hat. Sie überschätzen sich masslos.»

Keinen Deut gescheiter

Was können die selbsternannten Wahrsager? «Kassensturz» macht den Test. Eine Mitarbeiterin fragt die Shiva-Berater, ob sie früher oder später ein Kind bekomme. «Kassensturz» protokolliert die Antworten. Bald ist die Redaktion um ein paar Hundert Franken ärmer, aber um keinen Deut gescheiter. Im Gegenteil. Das Resultat verwirrt: Die «Kassensturz»-Mitarbeiterin kriegt ein Mal ein Kind, zwei Mal zwei Kinder, ein Mal gar keines. Und falls doch, ein schwieriges.

Die meisten Anrufer nehmen die Auskünfte ernst. Sie sind alleine oder stecken in einer Lebenskrise. René Racle ist behindert. Er beobachtet Shiva-TV seit Langem, hat eigene Erfahrungen gemacht. Er weiss, dort rufen viele Behinderte an: «Wenn man in einer verzweifelten Situation ist, greift man nach jedem Strohhalm.» Diese Menschen seien zehn, zwanzig Minuten am Telefon. «Man merkt genau, dass sie Probleme haben. Sie haben zum Beispiel Mühe, sich auszudrücken, zu artikulieren. Und ausgerechnet diese Menschen werden gnadenlos abgezockt.»

Einkommen bestritten

«Kassensturz» kennt Menschen, die monatlich ein paar Hundert Franken ausgeben. Geld, das ihnen für wichtige Dinge fehlt. Mike Shiva hat Geld. Das grosse Geld verdient er dank den Hunderttausenden Gesprächsminuten seiner 45 Berater. Bei jeder einzelnen Minute kassiert er mit.

Gemäss Steuerveranlagung verdiente Shiva im Jahr 2008 1,5 Millionen Franken. Allerdings ist gegen diese Einschätzung eine Einsprache hängig. Mike Shiva: «Es handelt sich hier lediglich um eine Veranlagung der Steuerverwaltung. Diese Beträge basieren nicht auf einer Steuererklärung, sondern sind eine Einschätzung der Steuerverwaltung.» Konkret heisst dies, dass Einkommen und Vermögen auch deutlich tiefer liegen können.

Mike Shiva hat seinen Namen geändert. Früher hiess er Michel Wehner. Er verheimlicht sein Alter. Er ist 46. Und: Er ist nicht hellsichtig, sagt Esoterik-Spezialist Georg Otto Schmid: «Ich habe Mike Shiva getestet, vor acht Jahren. Ich habe ihm drei Fragen gestellt.» Acht Jahren später konnte Schmid die Prognosen von Shiva überprüfen. «Er hat in allen drei Fragen komplett danebengehauen. Also nicht nur ein wenig falsch, sondern komplett falsch.»

Alles blosse Inspiration

Mike Shiva rechtfertigte sich am Dienstag live im «Kassensturz»Studio: Es würden keineswegs nur Menschen mit Problemen anrufen. Die Hilfesuchenden kämen aus ganz verschiedenen Gesellschaftsschichten, mit Fragen zum alltäglichen Leben. Ihnen würde die Berater oft erfolgreich weiterhelfen können. Shiva: «Heisse Luft ist es nicht (...). Wir sind keine Psychologen. Wir inspirieren die Leute nur.»

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