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Familie und Freizeit World Vision: Fragwürdige Kinder-Patenschaften

Eine Spenderin der Hilfsorganisation World Vision besucht auf eigene Faust ihr Patenkind in Peru und ist entsetzt: Sie trifft ein krankes, verlumptes Kind. «Kassensturz» über das fragwürdige Geschäft mit Kinder-Patenschaften.

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Niemand spendet so viel wie die Deutschschweizer – jährlich 500 Franken pro Haushalt. Trotzdem: Das Spendevolumen bleibt seit Jahren gleich und das Sammeln wird für die Hilfswerke immer härter. World Vision weiss, wie sie mit Emotionen zu Spendengeldern kommt.

Direkte Hilfe erwartet

Francesca Pasciuti ist Patin der dreijährigen Heydy aus Peru. Seit zwei Jahren spendet die Kinderkrankenschwester dem Hilfswerk World Vision jeden Monat 50 Franken für das Mädchen. Sie schickt regelmässig Briefe und kleine Geschenke – und freut sich über Zeichnungen und Fotos von Heydy. Für das eingezahlte Geld erwartete Pasciuti, dass Heydy medizinische Hilfe bekommt und dass es dem Mädchen gesundheitlich gut geht.

Letzten Sommer besuchte Francesca Pasciuti ihr Patenkind in Peru. Das offizielle Treffen mit Heydy und ihrer Familie fand im Büro von World Vision statt. Tage später besuchte Francesca Pasciuti das Mädchen erneut, diesmal bei ihr daheim, obwohl World Vision dies nicht gerne sieht.

Schock beim Besuch

Die Patin war beim Anblick der Familie «geschockt». Sie sei nicht zurecht gemacht, sondern eher verlumpt gewesen. Und: Heydy sei krank, was ihr von World Vision nie gesagt worden wäre. «Ich fand heraus, dass sie wegen einer Behinderung nicht richtig essen kann und deswegen untergewichtig ist.» World Vision habe bis jetzt keine medizinische Versorgung übernommen, keine Medikamente, keine Spitalkosten, keine Aufenthaltskosten, nur eine einfache Busfahrt nach Lima, berichtet Pasciuti weiter.

Sie hatte geglaubt, die kleine Heydy profitiere wesentlich mehr von ihren Spenden. World Vision rechtfertigt sich: Sie hätten die Wasserversorgung im Dorf verbessert und einen Kindergarten eingerichtet. Heydys Behinderung sei letzten April entdeckt worden. Seither würden medizinische Abklärungen laufen.

Emotionale Werbung

Amos Winteler von World Vision sagt, das Hilfswerk kommuniziere allen Paten, dass sie mit der Patenschaft ein Kind, eine Familie und das ganze Dorf unterstützen. «Wir sind der Überzeugung, dass dem Kind am besten geholfen ist, wenn sich das Umfeld verbessert», argumentiert Winteler.

Doch die Werbung von World Vision gaukelt direkte Hilfe für das Kind vor. Auf der Homepage steht: Je nach Bedarf des Kindes und der Dorfgemeinschaft wird es medizinisch betreut, erhält vitaminreiche Nahrung oder die Möglichkeit, eine Schule zu besuchen.

World Vision wirbt auch mit emotionalen Werbespots im Fernsehen. Und dies sehr erfolgreich: Im letzten Jahr konnte das Hilfswerk seine Einnahmen um 17 Prozent auf 44 Millionen Franken erhöhen. Für World Vision spenden in der Schweiz 60'000 Paten. Die meisten glauben, ihrem Patenkind gehe es dank ihren Spenden besonders gut. Doch das stimmt nicht.

Kein Zewo-Gütesiegel

World Vision bekommt deshalb das Gütesiegel der Stiftung Zewo, die Hilfswerke überprüft, nicht: «Wir finden, eine Organisation soll für ihre Projekte sammeln und nicht aus Marketinggründen Kinder instrumentalisieren und mit persönlichen Patenschaften werben», sagt Martina Ziegerer von Zewo. Dadurch würden immer wieder falsche Erwartungen erzeugt. Das könne zu Enttäuschungen bei Paten und Patenkindern führen.

Patenschaften mit persönlichem Kontakt seien unproblematisch, sagt World Vision: «Patenkinder geben der Entwicklungszusammenarbeit ein Gesicht. Paten in der Schweiz können die Fortschritte in einem Projekt anhand der Entwicklung der Patenkinder verfolgen und Patenschaft wird zu einer Herzensangelegenheit. Kinder haben einen konkreten Nutzen der Aktivitäten im Bereich Schulhäuser, Nahrungsmittel, Landwirtschaft, wo die Kinder die Möglichkeit bekommen, eine bessere Zukunft zu haben.»

Konsequenzen gezogen

Francesca Pasciuti hat aufgrund ihrer Erfahrungen mit World Vision die Konsequenzen gezogen und ihre Patenschaft aufgelöst. «Ich dachte nicht, dass so wenig vom Geld ans Kind geht», stellt sie enttäuscht fest. Heydy ist der Kinderkrankenschwester ans Herz gewachsen. Sie sucht jetzt einen anderen Weg, um das kleine Mädchen zu unterstützen.

World Vision hat versprochen, ihre Werbebotschaften zu überprüfen und in Zukunft transparent zu informieren. Heydys Familie bekam unterdessen Saatgut und Hühner, das Kind wurde vor zwei Monaten in ein Spezialprogramm für medizinische Sonderfälle aufgenommen.

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