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Geld «Ängste schüren und einlullen» - die Masche von Forever Living

Eine dubiose Firma ködert vor allem junge Leute mit vielversprechenden Job-Angeboten. In Tat und Wahrheit steckt ein schneeballartiges Geschäftsmodell dahinter. Experten warnen. «Espresso» schleuste sich an Ausbildungsveranstaltungen von «Forever Living» ein. Ein Insider-Bericht.

Kurz nach 19 Uhr schreitet der Undercover-Reporter, wie von den Organisatoren verlangt in Anzug und weissem Hemd, in Richtung «Bildungszentrum». Noch weiss er nicht, was ihn wirklich erwartet.

Dienstagabend, Dübendorf ZH im Industriequartier. Der «Mentor», welcher den Reporter angeschrieben hat, wartet bereits im Flur des Bürogebäudes.

Vor lauter Teilnehmer – es sind an diesem Abend geschätzte hundert Leute – ist er aber nicht so leicht zu finden. Offensichtlich wird das nicht wie angekündigt ein Vorstellungsgespräch, sondern etwas grösseres.

Präsentation statt Vorstellungsgespräch

Zwischenzeitlich hat der Neuling rausgefunden, dass es eine Präsentation gibt. Philipp Ritter, «die Nummer 1» in der Schweiz, würde Genaueres erläutern, erklärt ihm der «Mentor» aufgeregt.

Wir könnten aber vor dem Vortrag noch in seinem eigenen Büro kurz miteinander reden, um uns besser kennenzulernen. Standardfragen wie an gewöhnlichen Vorstellungsgesprächen bleiben zum Glück aus. Vielmehr erfährt der Teilnehmer, wie wegweisend der Einstieg in dieses Geschäft sein wird.

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Mittels eines Strichcodes erhält der «Espresso»-Redaktor Zutritt zum Event-Raum. Partymusik mit viel Bass läuft, Bilder von schnellen Autos, Strandvillen und glücklichen Menschen werden an die Leinwand gebeamt. Wir haben einen Platz in der ersten Reihe, die meisten der anderen hundert Teilnehmenden sitzen hinter uns.

Freiheit, Zufriedenheit und viel Geld

Und dann geht’s los: Verschiedene Redner, darunter tatsächlich auch der 31-jährige Philipp Ritter, versprühen Lebensenergie, sind topmotiviert und bedanken sich, dass auch heute wieder so viele Leute hier sind.

Das Bild an der Leinwand mit dem Palmenstrand weicht einer Powerpoint-Präsentation. Es ist jetzt die Rede von Verlierern, von Arbeitsplätzen die bei uns gestrichen werden. Globalisierung und Inflation sind Stichworte, die aus dem Nichts auf die Teilehmenden einprasseln.

«Du kannst dem entweichen!» «Du kannst aus dem System ausbrechen!» «Du kannst auf einen Erfolgszug aufspringen!», wird mantramässig wiederholt. Im Raum verbreitet sich ein Gefühl von: «Stimmt eigentlich! Das möchte ich auch.»

Parallelen zu Sekten

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Susanne Schaaf von Infosekta

Die Fachstelle Infosekta sieht in der Organisation von Forever Living Parallelen zu sektenhaften Systemen. Die Expertin für Sektenfragen, Susanne Schaaf im Gespräch mit «Espresso». Hier geht's zum Interview.

Von Freiheit reden die Präsentatoren. Und von finanzieller Unabhängigkeit. Dies könnte gemeinsam erreicht werden. Träumen sei wieder möglich. Wer darauf Lust habe, soll zum zweiten Teil der Präsentation hier bleiben. Wer nicht, der dürfe gerne gehen. Man wolle mit offenen und mutigen Personen zusammenarbeiten.

Forever Living Produkte verkaufen – aber eigentlich doch eher Leute anheuern

Nun endlich wird klar, worum es geht. Produkte wie Shampoo, Lippenpomade oder Energy-Drinks verkaufen. Alle mit Aloe Vera hergestellt. Welch tolle Produkte das sind, bestätigen die Personen, die jetzt scheinbar zufällig aufstehen.

Es sind dieselben, die vom Geschäftsmodell schwärmen. Denn die Produkte werden nicht klassisch beworben, sondern durch Mund-zu-Mund-Propaganda an die Konsumenten gebracht. Belohnt wird denn auch, wer engagiert und aktiv Leute von den Produkten überzeugt. Und sie auch in die «Forever Familie» integriert.

Und «Integrieren» heisst, sie ebenfalls zu Verkäufern zu machen. Je mehr «Distributoren» jemand anheuert, desto höher steigt er in der Hierarchie auf – und kassiert ab. «Wann hast du schon mal in einem Restaurant davon profitiert, dass du es weiterempfohlen hast?», ist die rhetorische Frage.

«Nicht ein Gratiskaffee hast du vermutlich gekriegt.» Bei Forever ist das anders. Hier wird belohnt, wer kräftig Werbung macht – und wer kräftig Neumitglieder anheuert. «Macht Sinn», denken sich viele.

«High Five» – und Schulterklopfen

Beschwerde einrichen

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Bürger können dubiose Firmen beim Staatssekretariat für Wirtschaft melden. Hier geht's zum Formular.

So läuft auch der «Espresso»-Redaktor mit einer Probe-Kiste voller Forever-Living-Produkte aus dem Schulungsraum. 250 Franken kostet sie. Ansonsten wären ihm die Türen für die nächste Schulung nämlich verschlossen geblieben. Schliesslich soll man die Produkte kennen, die man anschliessend unter die Leute bringen soll. Viele andere bezahlen auch.

Bei einer weiteren vierstündigen Veranstaltung am Sonntagnachmittag sollen die Neuen weiter geschult werden. In Tat und Wahrheit werden dort mit gleichen psychologischen Tricks, mit schönen Bildern und Filmen, die Teilnehmer auf das Geschäftsmodell eingeschworen.

«Wovon träumst du?» Gegenseitig wird von Zukunftsplänen vorgeschwärmt. «Du schaffst es», bekundet der Mentor des «Espresso»-Redaktors. Wir geben uns ein «High Five». Dann erklärt die Nummer 1 von Forever Living in der Schweiz Philipp Ritter, weshalb ihr Geschäftsmodell kein Schneeballsystem ist.

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