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Geld Fall Spreitenbach: Hans M. hat nicht freiwillig bezahlt

Die Gemeinde Spreitenbach sagt, Hans M. habe seine Schulden freiwillig bezahlen wollen, mit Geld aus der Pensionskasse. «Kassensturz» kann belegen, dass die Gemeinde widerrechtlich Zwangsmassnahmen ergriffen hat, um das Geld einzukassieren. Nun fordert Hans M. sein Geld zurück.

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Mitte Februar berichtete« Kassensturz» über den Fall von Hans M. (Name der Redaktion bekannt). Der ehemalige Drucker wurde mit 58 Jahren entlassen. Er fand in dieser Branche und wegen seines Alters keinen Job mehr. Nach zwei Jahren wurde er ausgesteuert. Die Gemeinde Spreitenbach wollte ihm jedoch keine Sozialhilfe auszahlen. Damit nicht genug: Sie drängte den Mann, sein Pensionskassenguthaben zu beziehen und damit offene Steuerschulden und bezogene Sozialhilfegelder in der Höhe von rund 60'000 Franken zurückzuzahlen. Sozialversicherungsexperte Ueli Kieser kritisierte dieses Vorgehen im «Kassensturz» scharf.

Die Rückzahlung bezogener Sozialhilfe ist nicht zumutbar

Laut Kieser ist Rückzahlung der Sozialhilfe im Fall von Hans M. nicht zumutbar, der Mann habe kein Vermögen und werde wahrscheinlich keine Stelle mehr finden.

Im Interview mit «Kassensturz» erklärte der Gemeindepräsident von Spreitenbach, Hans M. habe sein Freizügigkeitsguthaben freiwillig bezogen, um alle Schulden zu bezahlen, entgegen dem Rat der Gemeinde. Hans M. widerspricht dem. Er sagt, er sei von der Gemeindeverwaltung unter Druck gesetzt worden und habe deshalb auf der Gemeinde einen so genannten Abzahlungsvertrag unterschrieben.

Unter Druck gesetzt

Bei Andreas Hediger von der Unabhängigen Beratungsstelle für Sozialhilferecht (UFS) hat Hans M. Hilfe gesucht. Hediger erinnert sich, dass sich der arbeitslose Drucker Sorgen gemacht habe, weil er schon fünf Jahre vor der Pensionierung sein Altersguthaben antasten sollte. «Er war verunsichert. Und er war absolut nicht davon überzeugt, dass er seine Vorsorge beziehen und davon den Lebensunterhalt bestreiten und dann auch noch alte Schulden zurückzahlen sollte.»

Auch Syndicom intervenierte bei der Gemeinde

Absurdes Ausstrahlungsverbot

Box aufklappen Box zuklappen

Das Bezirksgericht Baden verbietet «Kassensturz» die Ausstrahlung eines Interviews, welches der Gemeindepräsident von Spreitenbach gegeben hat. Damit verstösst das Gericht gegen Gesetz und Verfassung, kritisiert Wolfgang Wettstein, Redaktionsleiter von «Kassensturz» und «Espresso». Mehr

Auch beim Rechtsdienst der Gewerkschaft Syndicom hatte Hans M. um Rat gefragt. Juristin Olivia Kaderli sagt, Hans M. wollte den Vertrag mit der Gemeinde nicht unterzeichnen. Er habe sich unter Druck gesetzt gefühlt, deshalb habe sie beim Sozialdienst der Gemeinde interveniert.

Die Schilderungen von Andreas Hediger und Olivia Kaderli stehen im Widerspruch zur Aussage von Gemeindepräsident Valentin Schmid, wonach Hans M. darauf bestanden hätte, sich das Alterskapital auszahlen zu lassen, um Schulden zu begleichen.

Bei Freiwilligkeit genügt ein Einzahlungsschein

Entgegen dem Rat der beiden Beratungsstellen unterzeichnete Hans M. dennoch den Vertrag, in dem er sich verpflichtete, der Gemeinde rund 60'000 Franken zurück zu zahlen – die Hälfte seines Vorsorgekapitals.

Dieses Vorgehen ist für Felix Meier-Dieterle nicht nachvollziehbar. Der Experte für Betreibungsrecht und ehemalige Bezirksrichter kritisiert den Abtretungsvertrag als «laienhaft»: «Wenn die Gemeinde sagt, der Schuldner habe freiwillig zahlen wollen, dann ist ein Abschluss eines Vertrages nicht nötig. Dann kann man einem Schuldner eine Übersicht über Ausstände geben und einen Einzahlungsschein.»

Betreibungsrechtliche Massnahme war widerrechtlich

Doch die Gemeinde begnügte sich nicht mit Hans M.s Unterschrift auf dem Abtretungsvertrag. Mittels einer Zwangsmassnahme blockierte sie die geforderte Summe auf seinem Freizügigkeitskonto. Eine seltsame Prozedur, wenn – wie die Gemeinde behauptet – der Schuldner freiwillig zahlen will.

Betreibungsrechtsexperte Felix Meier-Dieterle sagt, das Gesetz lasse Zwangsmittel bei Steuerschulden zu. Doch bei Hans M. hätte die Gemeinde Spreitenbach keine Sicherstellungsverfügung ausstellen dürfen. Die dafür nötigen Voraussetzungen – kein fester Wohnsitz oder Anstalten zur Flucht – seien nicht erfüllt. Hans M. wohnt in Spreitenbach und ist dort ordnungsgemäss gemeldet. Der Betreibungsexperte stellt klar: «Bezüglich Steuern kann man sagen, dass die gewählte Art der Sicherstellungsverfügung falsch war. Und bezüglich den Rückforderungen von Sozialhilfe fehlt es an jeglicher rechtlicher Grundlage». Mit einer Sicherstellungsverfügung dürfen laut Gesetz ausschliesslich Steuerschulden blockiert werden. Meier-Dieterle: «Für die Sozialhilfe-Forderungen war die Sicherstellungsverfügung rechtswidrig.»

Ein Anwalt der Unabhängigen Beratungsstelle für Sozialhilferecht (UFS) hat nun Klage beim Verwaltungsgericht des Kantons Aargau eingereicht. Er fordert die gesamte Summe, die Hans M. bezahlt hat, zurück.

Mit diesen Vorwürfen konfrontiert, schreibt die Gemeinde Spreitenbach an «Kassensturz»: «Nachdem es sich folglich jetzt um ein hängiges Verfahren handelt, nimmt der Gemeinderat keine Stellung mehr, bestreitet jedoch die von Ihnen geäusserten Spekulationen und Unterstellungen.»

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