Mit einem Putztuch hat alles begonnen. Es besteht aus Micro-Fasern und kostet 24 Franken. Das Putztuch stammt von der Firma Fun2Clean. Sie schickte es im Februar 2005 an Joe Bissig. Doch Bissig wollte es nicht bezahlen. «Dieses Putztuch habe ich nicht bestellt, da bin ich ganz sicher», sagt Bissig.
Rechnung um Rechnung
Die Versandfirma Fun2Clean verkauft ihre Ware per Telefon. Gemäss Fun2Clean wurde das Bodentuch bei ihnen «telefonisch bestellt». Beweisen kann die Versandfirma dies jedoch nicht. Bissig: «Wir wollten es nicht zurückschicken, weil uns das Geld kostet. Also haben wir es in einer Schublade deponiert.» Fun2Clean verschickt nun Rechnung um Rechnung – eineinhalb Jahre lang. Dann folgten Mahnungen, etwa neun Stück. «Die haben wir dann einfach alle in die Schublade zum Bodentuch gelegt», sagt Bissig.
Auf die Briefe reagiert Bissig nicht. Er hat ja nichts bestellt. Dann übergibt Fun2Clean die Forderung dem Inkassobüro Justitia Inkasso. Dieses treibt Geld ein für andere. Justitia Inkasso gehört zu Intrum Justitia. Jetzt bombardieren die Geldeintreiber Joe Bissig mit Mahnungen. Ein Jahr lang. Brief um Brief um Brief.
Rätselhafter Verzugsschaden
Das Inkassobüro ist berüchtigt. Es schlägt viel zu hohe Spesen auf Rechnungen: Zinsen, einen rätselhaften Verzugsschaden, seltsame Rechtsberater-Kosten. Das Putztuch kostet so im Nu 85 statt 24 Franken.
Seit Jahren berichtet «Kassensturz» über aggressive Methoden und haarsträubende Fehler der Geldeintreiber von Intrum Justitia. Schon 1992 wurde Intrum-Chef Benno Oertig zum ersten Mal im «Kassensturz» kritisiert. Heute, 16 Jahre später, ist Benno Oertig noch immer der Chef von Intrum. Noch immer werden Leute zu unrecht in Sünderdatenbanken registriert. Noch immer verrechnet Intrum Gebühren jenseits von Gut und Böse und schlägt schnell ein paar Hundert Franken auf Rechnungen. Begründet mit einem fadenscheinigen Hinweis aufs Obligationenrecht.
Image-Pflege auf dem Rasen
Und noch immer droht Intrum Justitia Konsumenten mit bösartigen Briefen. Nur etwas hat sich geändert: Intrum-Chef Benno Oertig gibt viel Geld aus für ein besseres Image. Zum Beispiel sponsern die Geldeintreiber die Young Boys. Die Berner Fussballer sind auf Meisterkurs. Intrum will vom positiven Image profitieren und druckt ihre Werbung auf die Hosen der Kickers. Den gängigen Slogan aus dem Sport «fair play» verdreht Intrum in eigener Sache zu «fair pay». Die Image-Korrektur erfolgt auch mit einer Schüler-Kampagne zur Jugend-Verschuldung. Ausgerechnet der Konzern, der mit Schulden Geschäfte macht, will Jugendlichen zeigen, wie sie Schulden vermeiden – das wirkt scheinheilig.
Intrum Justitia verteidigt sich: «Unser Handeln ist von ethischen Richtlinien geprägt. Unsere moderne Wirtschaft funktioniert auf Kreditbasis. Wird das Zahlungsversprechen gebrochen, wird das System empfindlich gestört. Der Umgang mit Schuldnern ist nicht immer eine einfache Kundenbeziehung. Fairness und Respekt messen wir einen hohen Stellenwert zu.»
Umstrittenes Rechtsgutachten
Intrum arbeitet eng mit dem Verband Schweizerischer Inkassotreuhandinstitute (VSI) zusammen. Die Geldeintreiber wollen weissmachen, dass die rätselhaften Verzugsschäden grundsätzlich der Schuldner bezahlen müsse. So stehe es in einem neuen Gutachten von Isaak Meier, Spezialist für Schuldbetreibungs- und Konkursrecht an der Universität Zürich.
Für den VSI eine wichtige Einschätzung: «Das Gutachten basiert auf einer umfassenden Analyse von Art. 104 und 106 des Obligationenrechtes und Art. 27 des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes. Bisherige juristische Publikationen und Gerichtsurteile aus dem Inland und dem Ausland werden von Professor Meier detailliert ausgewertet.»
Fazit der Geldeintreiber: «Die Kosten eines Inkassobüros stellen einen Verzugsschaden dar und können grundsätzlich – mit wenigen Ausnahmen – auf den Schuldner abgewälzt werden.»
Karl Spühler, Alt-Bundesrichter und emeritierter Professor an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich, hat für «Kassensturz» das Gutachten studiert: «Meines Erachtens wird die Gerichtspraxis diesem Gutachten in solch einem entscheidenden Mass sicher nicht folgen.»
Verstoss gegen Treu und Glauben
Inakzeptabel sind laut Spühler auch die Zuschläge auf der Putztuchrechnung: «Ein Verzugsschaden von 48 Franken bei einem Betrag von 24 Franken, also mehr als der Warenwert, ist stossend und widerspricht Treu und Glauben.»