Zum Inhalt springen

Geld Neue Mehrwertsteuer: Radikaler Umbau zu Lasten von Familien

Konsumenten sollen künftig gleich hohe Steuern auf Lebensmittel, Luxusgüter und Ausbildung bezahlen. Doch der einheitliche Steuersatz hat Verlierer: Familien mit Kinder und Rentnerhaushalte würden jährlich mehr belastet. Dass zeigt erstmals eine Berechnung von «Kassensturz».

BASS Büro für sozialpolitische Studien

Es ist grotesk: Auf Babywindeln erhebt der Staat 7,6 Prozent Mehrwertsteuer, auf Katzenfutter jedoch nur 2,4 Prozent. Süssigkeiten werden ebenfalls nur mit 2,4 Prozent besteuert, Zahnpasta hingegen mit 7,6 Prozent. Wo liegt da der Sinn? Bernhard Stebler, Chef Mehrwertsteuer bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung sagt: "Bei der Einführung der Mehrwertsteuer wollte der Gesetzgeber Getränke, Grundnahrungsmittel und Futtermittel zu einem tieferen Steuersatz haben und alle anderen Güter des täglichen Bedarfs zum normalen Steuersatz."

Der exklusive Kaviar hat also einen tiefen Steuersatz, da Nahrungsmittel. Beim Alltagsgegenstand Suppenteller gilt hingegen der hohe Steuersatz. Abstrus wird es bei der geistigen Nahrung: Kinos sind wie alle Kulturveranstaltungen von der Mehrwertsteuer befreit. Bücher hingegen nicht!

Bei der Mehrwertsteuer herrscht ein grosses Wirrwarr

Es gibt drei verschiedene Steuersätze und davon wiederum 25 Ausnahmen. Die Unternehmen müssen die Steuer verrechnen und an den Bund weitergeben. Für Kurt Schmid, Leiter der Karthause Ittingen ist die Mehrwertsteuer-Abrechnung ein Albtraum: "Ich sehe die Logik nicht. Es ist extrem kompliziert, denn wir haben bei unserem Betrieb alle Ansätze von null bis 7,6 Prozent." Die Karthause Ittingen ist ein vielfältiger Betrieb: Auf den eigenen Feldern wachsen Gemüse und Blumen, es hat ein Restaurant, ein Hotel und auch ein Museum. Ganz ohne Steuer ist der Verkauf von sogenannten "Urprodukten" aus der Landwirtschaft. Veranstaltet die Karthause ein Konzert, beträgt der Steuersatz auch null Prozent - es sei denn, ein Sponsor bezahlt. Auf Lebensmittel gilt der reduzierte Steuersatz von 2,4 Prozent - ausser der Käse wird im Restaurant serviert. Denn dort gilt immer 7,6 Prozent. Für Übernachtungen hingegen gilt 3,6 Prozent. Hoteliers haben diesen Sondersatz.

Viele Vorschriften sind in der Realität schon fast komisch. Steuerexperte Gerhard Schafroth nennt ein Beispiel: "Hat es in einem Unternehmen einen Getränkeautomaten wird der mit 2,4 Prozent besteuert. Steht vor diesem Getränkeautomaten jedoch ein Stuhl, verlangt die Steuerverwaltung wie in einem Restaurant 7,6 Prozent. Wie will man für vergangene Jahre zeigen, ob ein Stuhl davor stand oder nicht! Das ist fast nicht praktikabel." Fast alle Unternehmen machen bei der Abrechnung Fehler. Bei Steuerkontrollen müssen viele Firmen nachzahlen. "Bei neun von zehn gibt es eine Nachsteuer. Und das sind sicher nicht neun von zehn, die die Steuer bescheissen wollen", sagt Schafroth.

Radikale Änderung geplant

Dass es mit der Mehrwertsteuer so nicht weiter gehen kann, hat auch der Bund eingesehen. Bundesrat Hans-Rudolf Merz will nun die Mehrwertsteuer radikal ändern: Nur noch ein Satz und keine Ausnahmen. Bundesrat Hans-Rudolf Merz betonte im Kassensturz: "Ausnahmen kommen sicherlich nicht mehr vor. Sonst sind wir wieder am selben Punkt, wo sich eine Lobby nach der anderen Gehör verschafft, und dann haben wir wieder 25 Ausnahmen." Die Experten des Bundes haben errechnet, dass der neue Einheitssatz bei ungefähr 5.5 % liegen würde. Für den Bund würden sich so nicht mehr Einnahmen ergeben.

Für Konsumentinnen und Konsumenten hat der Vorschlag jedoch Folgen: Was heute mit 7,6 Prozent besteuert ist, wird günstiger. Der reduzierte Steuersatz von 2.4% für Lebensmittel, Medikamente und Bücher fällt jedoch weg. Spitalbehandlungen heute nicht mehrwertsteuerpflichtig - würden neu besteuert. Diese Produkte und Dienstleistungen würden tendenziell teuerer."

Familien verlieren

«Kassensturz» hat erstmals vom Büro für sozialpolitische Studien BASS in Bern ausrechnen lassen, wer mit der neuen Mehrwertsteuer besser fährt, wer schlechter. BASS stützte sich dafür auf reale Konsumgewohnheiten von rund 10'000 Haushalten. Der Ökonom Markus Schärrer hat dazu die durchschnittliche Mehrwertsteuerbelastung einzelner Haushaltstypen verglichen. Der Trend ist eindeutig: "Am meisten profitieren Einpersonenhaushalte mit hohem Einkommen. Am meisten leiden Familien mit tiefem Einkommen", sagt Schärrer. Alle Familien verlieren: Die Familie mit tiefem Einkommen zahlt jährlich 240 Franken mehr, die Familie mit mittlerem Einkommen 220 Franken mehr, jene mit hohem Einkommen 165 Franken mehr. Je höher das Einkommen, desto tiefer die Zusatzbelastung.

Das selbe gilt für Rentnerhaushalte. Bei einem neuen einheitlichen Mehrwertsteuersatz beträgt die Zusatzbelastung gemäss BASS-Berechnungen zwischen 110 und 210 Franken. Auch hier trifft es vor allem Rentner mit tiefem Einkommen. Freuen auf die neuen Mehrwertsteuer können sich Einpersonenhaushalte: Ein Singlehaushalt mit einem Bruttoeinkommen von 40'000 Franken spart 110 Franken, jener mit mittlerem Einkommen sogar 290 Franken. Wer alleine lebt und viel verdient, spart sogar 250 Franken. Gewinner wären auch Paare ohne Kinder.

Meistgelesene Artikel