Von «Espresso» im Juni mit den Vorwürfen konfrontiert, spielte der Psychiater aus Rüschlikon ZH den Unwissenden. Gegenüber seinem Patienten beklagte er den nicht nachvollziehbaren Bürokratismus der Krankenkasse Assura.
Tatsache aber ist: Der Psychiater lässt seine Patienten bei der ersten Konsultation sogenannte Abtretungsvereinbarungen unterschreiben. Darin tritt der Patient die finanziellen Ansprüche gegenüber seiner Krankenkasse dem Arzt ab. Dieser stellt dann der Kasse Rechnung und wird von ihr direkt entschädigt. Auch Michael F. unterschrieb eine solche Erklärung.
Psychiater kassiert beim ahnungslosen Patienten
Als er Monate später Rechnungen der Ärztekasse über 6000 Franken für die Behandlung bekam, bezahlte er und schickte die Rechnungen der Assura, seiner Krankenkasse. Doch die lehnte mit Verweis auf die Vereinbarung eine Rückvergütung ab. Pikant: Zuvor hatte der Arzt seine Rechnungen der Assura geschickt. Doch diese beanstandete die Rechnungen und wies sie zurück. Daraufhin kassiert der Psychiater sein Honorar über die Ärztekasse beim ahnungslosen Patienten ein.
«Espresso» weiss: Michael F. ist kein Einzelfall. Die Assura-Krankenkasse hat in mindestens zehn weiteren Fällen Rechnungen des Psychiaters Martin Kammerer aus Rüschlikon beanstandet. Auch bei anderen Kassen ist die Rechnungsstellung des Therapeuten aufgefallen, unter anderem bei der CSS, der Concordia und der Helsana. Die Vorwürfe sind immer die gleichen: Der Arzt verrechne auffallend viele Telefonkonsultationen oder sogar Leistungen, die gar nie stattgefunden hätten.
Kassen können Ärzte aus der Grundversicherung ausschliessen
Anlaufstellen für Patientinnen und Patienten
Und immer lässt er die Patienten eine Abtretung unterschreiben und stellt ihnen Rechnung, sobald die Kassen reklamieren.
«Eine Krankenkasse müsste ihren Patienten in einer solchen Situation unterstützen und ihm zu seinem Recht verhelfen», sagt Margrit Kessler, Präsidentin der Stiftung SPO Patientenschutz. Aber nicht nur das: Kessler versteht nicht, weshalb die Kassen den Arzt so lange gewähren lassen. Rechtliche Möglichkeiten gäbe es: «Wenn ein Arzt trotz mehrmaliger Abmahnung weiter die Regeln verletzt, muss er mit einem Ausschluss aus der Krankenversicherung rechnen.»
Einschalten müssten sich laut der Patientenschützerin auch die kantonalen Aufsichtsbehörden.
Berufsverband prüft Ausschluss
Aufsichtsrechtliche Massnahmen sind laut Daniel Winter, Kommunikationsverantwortlicher der Zürcher Gesundheitsdirektion, aber erst dann möglich, wenn gegen einen Arzt ein Gerichtsurteil oder ein Urteil einer Behörde vorliegt. Zum konkreten Fall will er sich nicht äussern.
Immerhin ist die Zürcher Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie aufmerksam geworden. Sie kann ein Mitglied aus ihrem Verband ausschliessen, das sich nicht an die Standesregeln hält oder den Interessen von Patienten zuwider handelt.
Doch ein Ausschluss aus dem Verband ist für Margrit Kessler keine Lösung: «Dann müssen sich die Ärzte an gar keine Regeln mehr halten. Für Patienten ist das eine Katastrophe.» Patienten seien nur dann gut geschützt, wenn die Kassen und die Behörden früher aktiv würden.