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Gesundheit Fehlerhafte Prothese: Hersteller will nicht zahlen

Zahlreiche Patienten haben Hüft-Prothesen, die sich als fehlerhaft und gesundheitsgefährdend erwiesen. Weltweit mussten 30'000 Gelenke ausgewechselt werden. Doch die Herstellerfirma weigert sich, entstandene Kosten zu zahlen. Griffige Kontrollen bei der Zulassung der Prothesen fehlen.

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Ursula Hedinger muss wegen einer Lähmung am rechten Fuss in die Physio-Therapie. Das ist eine Folge von mehreren Korrekturoperationen.

Heute, mehr als ein Jahr nach der letzten Operation kämpft Ursula Hedinger mit Einschränkungen wegen der Lähmung im Fuss. Sie muss immer noch an Stöcken gehen und sie kann nicht länger als 25 Minuten laufen. Zum Autofahren braucht sie eine Schiene. Zeitweise konnte sie selber gar nicht Autofahren.

Auslöser war eine fehlerhafte Prothese

Von der Herstellerfirma des Hüftgelenks fühlt sich Ursula Hedinger hängen gelassen. Sie macht der Vertretung der Firma «DePuy/Johnson&Johnson» Vorwürfe: Sie haben nie zurückgerufen, wenn ich angerufen habe. Ich habe geschrieben, es ist nie was retour gekommen. Sie haben mich nicht ernst genommen.»

Begonnen haben die Probleme von Ursula Hedinger mit einer Prothese der Firma «DePuy/Johnson&Johnson»: 2006 musste sie ihre rechte Hüfte erstmals operieren lassen. Der Chirurg entschied sich für ein sogenanntes ASR-Gelenk von «DePuy/Johnson&Johnson».

Neu an diesen Gelenken war, dass Pfanne und Kopf aus Metall waren. Doch genau das war das Problem, es entstand Metallabrieb. Im Sommer 2010 musste die Herstellerfirma, eine Tochtergesellschaft von «DePuy/Johnson&Johnson» die Prothesen zurückrufen.

30'000 Gelenke mussten ausgewechselt werden

Weltweit mussten gemäss Schätzungen 30'000 Prothesen ersetzt werden. Auch Ursula Hedinger musste ihr Hüftgelenk auswechseln lassen. Die Pfanne sass nicht fest, sie hatte Schmerzen und erhöhte Chromwerte im Blut.

Im März 2011 fand die Korrekturoperation statt. Mit der neuen Prothese gab es ebenfalls Probleme: Die Hüftkugel fiel dreimal aus der Pfanne

Nach dem dritten Mal entschied der Arzt nochmals ein neues Gelenk einzusetzen. Auch bei diesem Eingriff gab es Komplikationen, der Ischiasnerv wird überstreckt. Das führte zur vollständigen Lähmung des rechten Fusses. Und anschliessend bekam Ursula Hedinger eine schwere Infektion, fünf Wochen muss sie im Spital bleiben.

Viele Komplikationen werfen Fragen auf

Peter Ochsner, war während langen Jahren Professor für Orthopädie an der Universität Basel. Für Kassensturz beurteilt er den Fall von Ursula Hedinger. Für ihn ist klar: Die Komplikationen sind auf die erste fehlerhafte Prothese zurückzuführen.

Peter Ochsner führt aus: «Wenn es so ist, dass die ASR-Pfanne und die Gelenkpaarung Metall-Metall nicht gut ist, und wenn man es früher wechseln musste, dann ist das darauf zurückzuführen, ohne jegliches wenn und aber.»

Und er fürchtet Ursula Hedinger wird lebenslang Einschränkungen haben. Denn Nerven erholen sich nur langsam und nach einer vollständigen Lähmung nicht immer vollständig.

Patientin hatte 7000.- Kosten

Nach der Operation im letzten Sommer war Ursula Hedinger wegen der Lähmung auf Unterstützung angewiesen, für den Transport in die Physio-Therapie und auch Zuhause.

Diese Kosten hat Ursula Hedinger aus der eigenen Tasche bezahlt, ebenso den Selbstbehalt der Krankenkasse für die Spitalaufenthalte von 2586 Franken. Total hat sie Auslagen für rund 7000 Franken gehabt. Das möchte sie zurückerstattet bekommen. Im Juni hat sie «DePuy/Johnson&Johnson» eine Rechnung geschickt. Nach drei Monaten, anfangs Oktober kam eine Zahlung.

«Johnson&Johnson» übernimmt keine Haftung

«Von den 7000 sind 1770 Franken auf das Konto überwiesen worden. Und es wurde nicht ausgeführt für was, es wurde nicht definiert», sagt Ursula Hedinger. Das findet sie nicht Ordnung, dass man ihr nicht klar sagt, was sie bekommen soll.

Und ob die Firma ihr die ausstehenden 5200 Franken zurückerstattet, weiss sie nicht. Der zuständige Mitarbeiter wollte dazu nichts sagen.

«Rückruf bedeutet nicht Haftung»

Kann der Hersteller eines fehlerhaften Hüftgelenks sich weigern Kosten zu übernehmen? Diese Frage regelt das Produktehaftpflichtgesetz.

Walter Fellmann, Professor für Schweizerisches Privatrecht an der Universität Luzern erklärt, dass dieses Gesetz keinen besonderen Patientenschutz vorsieht. Und ein Rückruf, so wie ihn «DePuy/Johnson&Johnson» im Sommer 2010 gemacht hat, verpflichte die Firma nicht automatisch zu einer Kostenübernahme.

Patienten müssen auf Kulanz hoffen

Walter Fellmann führt aus: «Der Rückruf für sich allein begründet keine Haftung. Die Patientin müsste nachweisen können, dass in ihrem Fall, bei ihrem Produkt tatsächlich ein Fehler war und dass zwischen dem Fehler und ihrem Schaden ein Kausalzusammenhang besteht.»

Doch diesen Kausalzusammenhang nachzuweisen sei für Patienten sehr schwierig, sagt Walter Fellmann. Patienten könnten Zahlungen nur durchsetzen, wenn sie ein Urteil haben, das vollstreckbar sei, dazu ist aber ein Gang vor Gericht notwendig. Ohne Ureil müssen Patienten müssen auf Kulanz der Hersteller hoffen.

Prothesen nicht staatlich geprüft

Patientenschützerin Margrit Kessler sieht noch ein weiteres Problem: Prothesen und Implantate werden von keiner staatlichen Stelle geprüft. Sie kritisiert, dass private Firmen in der EU Produkte prüfen. Die Zulassung gilt auch für die Schweiz.

Für Margrit Kessler ist dieses Verfahren zu grosszügig: «Und es wird alles gleich behandelt, Röntgengeräte, Instrumente aber auch Implantate und Rheumadecken. Da muss man Unterschiede machen, das ist nicht dasselbe eine Rheumadecke und ein Implantat, das dann bei einem Menschen implantiert wird.»

Sie fordert im Fall von Ursula Hedinger und für die 400 weiteren Betroffenen in der Schweiz, dass die Firmen «DePuy/Johnson&Johnson» sämtliche Zusatzkosten übernehmen und eine Abfindungssumme bezahlen. So wie Patienten in den USA in der Vergangenheit entschädigt wurden.

Ursula Hedinger überlegt sie sich, einen Anwalt zu nehmen, um zu ihrem Recht zu kommen. «DePuy/Johnson&Johnson» hat «Kassensturz» zu diesem Fall in einer Stellungsnahme (PDF) geantwortet.

«Puls» berichetete bereits im März

Die Medizinalsendung Puls berichtete am 12.03.12 über die beschränkte Lebensdauer von Prothesen: 

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