Die Computertomographie wächst und wächst: Die Anzahl Untersuchungen hat sich in den letzten 10 Jahren verdreifacht. Pro Jahr kommt es zu rund einer halben Million CT-Scans.
Die Mengenausweitung der letzten Jahre in der Computertomographie zeigt sich in einer massiven Kostensteigerung. 2009 verrechneten Radiologen 182 Millionen Franken für CT-Untersuchungen. Letztes Jahr waren es bereits 255 Millionen Franken. Ein sattes Plus von 40 Prozent innerhalb von 5 Jahren.
Die Radiologen bekommen ihre Patienten von anderen Ärzten zur Untersuchung zugewiesen. Recherchen von «Kassensturz» zeigen nun: Gewisse Radiologen generieren Mehrumsatz in Millionenhöhe mit unnötigen Doppeluntersuchungen.
CT als grösste Strahlenquelle
Während der gleichen Untersuchung kann der Radiologe nämlich in eigener Kompetenz entscheiden, ob er von einer Körperregion zwei Bildserien machen will.
Zwei Bildserien – zum Beispiel eine mit und eine ohne Kontrastmittel – können die Aussagekraft der Bilder erhöhen. Allerdings wird der Patient dadurch mit der doppelten Strahlendosis belastet.
Heute geht die grösste Strahlenbelastung in der Röntgendiagnostik auf das CT zurück. Mehrere Bildserien erhöhen das Krebsrisiko. Laut Strahlenschutzgesetz müssen Ärzte deshalb Risiken und Nutzen einer Bestrahlung sorgfältig abwägen.
Bestrahlen wird belohnt
Doch der Ärztetarif Tarmed belohnt Radiologen für eine «weitere Serie» mit 244 Taxpunkten. Das macht pro Rechnung einen Zuschlag von rund 220 Franken.
Das sei ein klarer Fehlanreiz, sagt Urs Vogt, Vertrauensarzt von Santésuisse und selber Radiologe: «Am aktuellen System stört mich vor allem, dass je mehr ein Radiologe bestrahlt, desto besser wird er vergütet. Das sollte man mit einer Pauschale durchbrechen.» Dann wären Radiologen nämlich gezwungen, möglichst ökonomisch zu untersuchen.
Private bestrahlen aggressiver
Eine aktuelle Analyse von Santésuisse zeigt: Private Röntgeninstitute bestrahlen im Vergleich zu öffentlichen Spitäler viel häufiger. Sie machen bei 56 Prozent ihrer Patienten eine zweite Bildserie – fast doppelt so oft wie öffentliche Spitäler.
«Dabei untersuchen Privatinstitute eher die medizinisch einfacheren Fälle als die Kantons- und Universitätsspitäler», sagt Santésuisse-Radiologe Urs Vogt. «Was über 20 bis 30 Prozent liegt, lässt sich medizinisch nicht rechtfertigen.»
Ohne Qualitätsverlust liessen sich die Doppeluntersuchungen um die Hälfte reduzieren, sagt Vogt. Dies würde rund 20 Millionen Franken sparen.
Tarif- und Strahlensünder
«Kassensturz» wurden vertrauliche Zahlen über Radiologen zugespielt, die überdurchschnittlich häufig Doppeluntersuchungen machen. Die Beispiele zeigen: Bestimmte Röntgeninstitute machen systematisch Doppeluntersuchungen.
Links
Dazu zählt etwa Professor Walter Wiesner, Radiologe im Spital Herisau. Seine Abteilung fährt bei fast jedem Patienten eine zweite Bildserie und verrechnet dafür einen Zuschlag von 220 Franken. Wiesner sagt gegenüber «Kassensturz», dahinter stünden nicht etwa finanzielle Interessen, sondern eine bessere Diagnostik. Dafür nähme er eine höhere Strahlenbelastung in Kauf.
Bei 9 von 10 Patienten macht die Schmerz-, Rheuma- und Osteoporosezentrum in Pfäffikon eine Zweitserie. Solche «Kontrollserien» seien gerade in der Schmerztherapie wichtig, begründet Radiologe Dirk Tomala seine auffällig hohen Zahlen.
Die Privatklinik Linde in Biel macht bei 7 von 10 Patienten eine zweite Bildserie. Man untersuche komplexe Fälle, schreibt die Klinik.
Genauso häufig machen das Salem-Spital in Bern und die Klinik Stephanshorn in St. Gallen Doppeluntersuchungen. Die Kliniken der privaten Hirslandengruppe begründen das mit einer «vertiefteren Diagnose».
Zahlen zeigen: Besonders oft verrechnen Radiologen in der Romandie Doppeluntersuchungen: Das Genfer Röntgeninstitut «Rive Droite Centre d’Imagerie médicale« etwa bestrahlt jeden Patienten zweimal. Das Institut nahm keine Stellung.
Medizinisch lässt sich eine so hohe Zahl von Doppelbestrahlungen nicht nachvollziehen. Der Verdacht: Die Radiologen bessern so ihr Einkommen auf.
BAG kritisiert finanziellen Fehlanreiz
Forum
Dass in privaten Röntgeninstituten viel häufiger zweite Bildserien gefahren werden als in öffentlichen Spitälern, stellt auch das Bundesamt für Gesundheit fest. «Das kann verschiedene Gründe haben, zum Beispiel Diagnosesicherheit», sagt Daniel Bach vom BAG im «Kassensturz». «Aber es ist sicher auch so, dass es sich finanziell einfach lohnt, eine zweite Serie zu machen, und das ist ein finanzieller Fehlanreiz.»
Bei Santésuisse spricht man von «Tarifmissbrauch», der Krankenkassenverband will deshalb künftig Radiologen kontrollieren, die überdurchschnittlich oft zweite Bildserien verrechnen.
Kein Pardon für schwarze Schafe
Auch Tarzis Jung, designierter Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Radiologie, hat für Kollegen, die systematisch Doppeluntersuchungen verrechnen, kein Verständnis. Er ist Chefarzt des Waidspitals Zürich: Unter seiner Leitung werden nur zwei von zehn Patienten doppelt bestrahlt.
«Wenn ich höre, dass gewisse Institute jeden Patienten zweimal untersuchen, dann läuten bei mir die Alarmglocken», sagt Jung. «Da besteht der Verdacht, dass schwarze Schafe den Tarif missbrauchen.»
Kontrolle durch unabhängige Experten
Die Gesellschaft für Radiologie bildet nun mit dem Bundesamt für Gesundheit eine Expertengruppe. Diese soll ab nächstem Jahr in Spitälern und Instituten vor Ort die Notwendigkeit solcher Doppeluntersuchungen kontrollieren.
«Um finanzielle Fehlanreize künftig auszuschalten, überarbeiten wir ausserdem die Tarifstruktur», sagt Tarzis Jung. Für den Vertreter der Radiologen ist klar: «Jede unnötige Untersuchung muss verhindert werden.»
Unnötige Hightech-Geräte kosten Millionen
Je mehr MRIs und CTs in Betrieb sind, desto höher sind Gesundheitskosten. «Kassensturz»-Recherchen zeigten schon im Jahr 2010: In der Schweiz gibt es so viele MRIs und CTs wie fast nirgends in Europa. Viele davon sind überflüssig. Diese Fehlplanung kostet die Prämienzahler Millionen. Zum Artikel
Tarzis Jung, designierter Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Radiologie, nahm im Studio Stellung: