Gly-Coramin ist ein Notfallmedikament. Es soll bei Schwäche, Müdigkeit und Kreislaufstörungen helfen. Bekannt ist die Kautablette vor allem bei Soldaten, Bergführern und älteren Leuten. Jetzt will Hersteller Novartis mit einer wilden Plakataktion ein neues, junges Publikum erreichen. Am Basler Bahnhof zum Beispiel hängen die Plakate mit dem jungen Snowboarder samt glühendem Snowboard zwischen Party- und Konzertveranstaltungen. Die Werbung auf den Plakaten verspricht mehr Energie dank Gly-Coramin. Doch die vermeintlich harmlose Tablette hat einen heiklen Inhaltsstoff mit Nebenwirkungen. Im Kleingedruckten steht "Gly-Coramin kann eine positive Reaktion bei Antidoping-Kontrollen haben." Der Grund: Eine Kautablette enthält unter anderem 125 Milligramm Nikethamid. Nikethamid ist ein Dopingmittel. Es steht auf der Liste verbotener Substanzen, Mittel und Methoden des Bundesamts für Sport. 2004 wurde die damalige 100-Meter-Weltmeisterin Torri Edwards aus den USA für zwei Jahre gesperrt, weil sie Nikethamid geschluckt hatte.
Gly-Coramid ist rezeptfrei in Apotheken und Drogerien erhältlich und kostet rund 15 Franken. Laut Verpackungsbeilage soll das Medikament bei Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren nicht angewendet werden. "Dass Junge mit einem Medikament angesprochen werden, kann nicht toleriert werden. Und wenn das noch mit einer Sportgruppe wie den Snöbern gemacht wird, die bei den Jugendlichen einen immensen Einfluss hat, dann werden natürlich auch unter 16Jährige diese Medikamente nehmen", sagt Beat Villiger, Chefarzt von Swiss Olympics.
Kassensturz stellte Novartis schriftlich mehrere Fragen und wollte unter anderem wissen, weshalb der Pharmakonzern Jugendlichen ein Medikament als "Kult-Energiespender" verkauft und wie Novartis ausschliessen könne, das Jugendliche unter 16, angeregt von der Kampagne, Gly-Coramin konsumierten. Novartis beantwortete die Fragen nicht. Ob für Junge, Breitensportler oder Profis - Fachleute finden die Novartis-Kampagne unhaltbar: "So etwas prophylaktisch zu nehmen, um nachher gut drauf zu sein, ist nicht akzeptabel. Es ist ein Aufputschmittel, ein Medikament, das Nebenwirkungen hat. Jedes Medikament hat Nebenwirkungen. Dass man so etwas nimmt, um sich für eine kommende Aufgabe fit zu machen, ist nicht erlaubt", sagt Beat Villiger. Novartis widerspricht. Es gebe keine Nebenwirkungen. Inzwischen ist Swissmedic aktiv geworden. Das Heilmittelinstitut untersucht, ob die Novartis-Werbung gegen das Heilmittelgesetz verstösst.