Die Schweiz verfügt mit dem Paul Scherrer Institut im aargauischen Villigen über die weltweit grösste Kapazität an Bestrahlungsplätzen mit Protonen. Nächstes Jahr nimmt das Institut einen zweiten und in fünf Jahren sogar eine dritten Behandlungsplatz in Betrieb.
Grösste Kapazität Europas
In keinem Land in Europa gibt es soviele Bestrahlungsplätze wie in der Schweiz. Trotzdem sind für über eine halbe Milliarde Franken noch zwei weitere Protonentherapiezentren für Krebskranke geplant. Ungeachtet der Kostenfolgen für die Prämienzahler, und obwohl klinische Studien fehlen, die zeigen würden, dass die viel teurere Protonenbestrahlung wirkungsvoller ist als die konventionelle Strahlentherapie.
«Zuerst muss der medizinische Nutzen wissenschaftlich belegt sein, bevor man vorsorglich Kapazitäten schafft», sagt die St. Galler Gesundheitsdirektorin Heidi Hanselmann. Sie präsidiert das Beschlussorgan der hochspezialisierten Medizin der Gesundheitsdirektorenkonferenz. Dieses hat letzten Mai entschieden, dass eine Protonenanlage vorderhand ausreicht und einzig das Paul Scherrer Institut die Protonenbehandlung über die Grundversicherung abrechnen darf.
Luxustempel der Spitzenmedizin
Nichtsdestotrotz: Im schwyzerischen Galgenen soll bis 2014 das «Proton Therapy Center Switzerland» mit vier Bestrahlungsplätzen entstehen. Die privat finanzierte Klinik kostet 380 Millionen Franken. «Wir werden eine grosse Kapazität schaffen mit 2000 bis 3000 Behandlungen pro Jahr», sagt Verwaltungsratspräsident Martin Michel. Die Initianten des «Proton Therapy Center» rechnen fest damit, dass künftig nicht nur seltene Tumore, sondern auch Brust-, Lungen-, Leber- oder Prostatatumore mit Protonen bestrahlt und von der Grundversicherung bezahlt werden.
Auch das Berner Inselspital plant ein Protonentherapiezentrum. Die drei Bestrahlungsplätze sollen rund 150 Millionen Franken kosten. Krebsspezialist Daniel Aebersold sieht eine Protonen-Anlage als Weiterentwicklung der konventionellen Strahlentherapie: «Wir wollen für die Patienten weniger Nebenwirkungen haben und höhere Heilungsraten.»
Protonentherapie nur für seltene Tumore
Der Vorteil gegenüber der konventionellen Strahlentherapie: Der Protonenstrahl ist präziser und schädigt das umliegende, gesunde Gewebe des Krebskranken weniger. Deshalb werden seltene Tumore in der Nähe des Hirnstamms, der Augen oder des Rückenmarks damit bestrahlt.
Doch die Kosten für solche eine Behandlung sind massiv. Die Krankenkassen zahlen dem Paul Scherrer Institut pro Bestrahlung 28‘000 Franken. «Das sind allerdings nicht die Vollkosten», sagt Felix Schneuwly vom Krankenkassendachverband Santésuisse. Denn das Paul Scherrer Institut bezieht als Forschungsplatz Gelder von Bund und Kanton. «Eine Behandlung kostet effektiv etwa 60‘000 Franken», so Schneuwly. «Das sind etwa drei Mal mehr als eine Behandlung mit der konventionellen Strahlentherapie.»
Medizinischer Nutzen nicht erwiesen
Das Kantonsspital Aarau kritisiert den Boom bei der Protonenbehandlung. Denn die Behandlung mit elektromagnetischen Wellen, den sogenannten Photonen, hat in den letzten Jahren grosse technische Fortschritte gemacht. «Die konventionelle Strahlentherapie ist heute viel präziser und damit auch schonender», sagt Strahlentherapeut Professor Stephan Bodis.
Für ihn macht es keinen Sinn, künftig alle Tumore mit den wesentlich teureren Protonen zu bestrahlen. Er arbeitet eng mit dem Paul Scherrer Institut zusammen und kommt zum Schluss. «Protonen können Patienten mit grossen kompliziertenTumoren in heiklen Regionen etwas bringen», sagt Bodis. «Bei einem Brustkrebs im Frühstadium glauben wir nicht, dass Protonen einen nachweisbaren Vorteil haben werden.»
Angebot schafft Nachfrage
Trotzdem sollen im Kanton Schwyz für 380 Millionen und in Bern für 150 Millionen Franken neue Protonenanlagen entstehen. Kosten, die schliesslich Prämienzahler übernehmen müssen. «Es darf nicht passieren», sagt Martin Jermann vom Paul Scherrer Institut «dass man aufgrund der Amortisation solcher teuren Einrichtungen gezwungen ist, Patienten zu behandeln, bei denen eine Protontherapie gar nicht nötig wäre.» Doch genau das wird geschehen, wenn die millionenteuren Anlagen erst einmal in Betrieb sind.